Archiv für den Monat: November 2018

Strom im Blut – der I.D. kommt nach Zwickau

Nicht kleckern, klotzen. Thomas Ulbrich, VW-Markenvorstand für Elektromobilität nimmt 1,2 Milliarden Euro in die Hand, um den VW-Standort Zwickau bis Ende 2019 für die Produktion von Stromern umzubauen. Die Fabrik wird das Leitwerk für Elektromobilität. Hier sollen 2021 insgesamt 330 000 Elektrofahrzeuge pro Jahr vom Band laufen: der I.D., der I.D. Crozz, ein weiteres Derivat der Reihe sowie drei Elektromodelle von Audi und Seat. Vom Verbrenner verabschiedet sich das Werk vollständig.

Jetzt gilt’s. Wird die Elektromobilität profitabel?

Der Autobau in Zwickau hat eine lange Tradition. 1904 wurden hier die Horch-Werke (später Audi) gegründet. Zu DDR-Zeiten lief hier der Trabant mit einem von VW lizenzierten Motor vom Band.  Nach dem Fall der Mauer investierte Volkswagen in eine neue Fabrik. Jetzt muss VW in Zwickau beweisen, dass es mit Elektromobilen made in Sachsen die Mobilitätswende schafft.

Es ist eine Operation am offenen Herzen: Noch während in Zwickau der Golf und der Golf Variant montiert werden, installieren die VW-Techniker Roboter, die schon in einem Jahr die neuen Autos montieren werden. Gleichzeitig führen die Produktionsplaner neue Technologien in der Fertigung ein. Bei der Zusammenarbeit von Menschen und Robotern ist Volkswagen ein gutes Stück vorangekommen. Vielfach reichen Roboter den Beschäftigten Werkstücke an oder sie entlasten sie gezielt, wenn sperrige Teile in die Karosserie eingefügt werden müssen. Selbstfahrende Transportplattformen werden in naher Zukunft Material vollautomatisiert ans Band bringen, ohne dass ein Anlagenführer die Übersicht behalten muss.

Monatelange Schulungen für die Belegschaft

Für die 5000 Mitarbeiter in der Produktion werden aufwändige, zum Teil monatelange Schulungen fällig, bis sie, so der Anspruch von Volkswagen „Strom im Blut“, haben. Die Schulungen reichen vom Umgang mit neuen Materialien über den Einsatz von 3-D-Technik bis zur Sicherung der Beschäftigten im Hochvolt-Bereich gegen Stromschläge. Dirk Coers, Personalchef von VW Sachsen, erwartet von den Werkern die Bereitschaft, immer wieder umzudenken. Bis 2020 wird praktisch jeder einen neuen Job innerhalb des Unternehmens lernen müssen, manche sogar zweimal hintereinander umgeschult werden. Im Gegenzug erhält die Belegschaft eine Jobgarantie bis 2025.

Elektroautos sind einfacher zu montieren als Verbrenner – deswegen hängt die langfristige Beschäftigungssicherung  der insgesamt 7700 Menschen zählenden Belegschaft in Zwickau davon ab, dass die Nachfrage nach E-Fahrzeugen auch wirklich anzieht wie von Volkswagen geplant. Der Hersteller legt viel Wert auf seinen ökologischen Ansatz. Grüner Strom aus Österreich treibt die Maschinen an, die Lieferanten von Batteriezellen werden ebenfalls darauf verpflichtet, ausschließlich  Energie aus regenerativen Quellen zu verwenden.

Um die Kunden für die neuen Modelle zu begeistern, tritt VW bei den Preisen auf die Bremse. Gerade mal um die 25 000 Euro soll der I.D. kosten. Zumindest anfangs dürfte das Auto für Volkswagen ein Zuschussgeschäft sein. „Das Margenthema ist schwierig“, gesteht Thomas Ulbrich. Über Skaleneffekte, hofft er, werde die Profitabilität „irgendwie am Horizont“ auftauchen. Im Laufe eines Modellzyklus, also innerhalb von sieben Jahren, solle sich der I.D. irgendwie rechnen.

Rund 40 Prozent des Fahrzeugwertes entfallen auf die Batterie. Damit ist VW auf kooperative Zellenlieferanten angewiesen. Zum Teil, sagt Ulbrich, habe Volkswagen mit ihnen langfristige Verträge abgeschlossen. Zum anderen Teil aber eben auch nicht. Je höher die Stückzahlen, desto effektiver ist damit der finanzielle Hebel, denn die Zulieferer ansetzen können. Richtig brenzlig könnte die Situation ab 2025 werden, wenn VW mit seinen E-Werken (nach heutigem Stand neben Zwickau im chinesichen Foshan und Anting, in Dresden, Hannover und Emden) eine Million Autos pro Jahr  produzieren will. Aber zunächst sind alle im Unternehmen froh, wenn die der Produktionsanlauf klappt und sich die hohen Investitionen in die neuen Antriebe nicht von Anfang an als Flop erweisen.

 

 

Teure Mobilitätswende: die Autoindustrie in der Kostenfalle

Alle Welt redet von niedrigeren Emissionen und der Elektromobilität. Kein Kongress ohne Keynote, in der das Sterben des Verbrenners und die goldene Zukunft des Elektromobils beschworen werden. Die Branche begeistert sich auf Geheiß der Politik für alternative Antriebe – aber noch ist unklar, wie die Mobilitätswende finanziert werden soll.

Die Komponenten für die wichtigste Komponente eines Elektroautos, die Batterie, werden  von asiatischen Herstellern geliefert, die weitaus weniger pflegeleicht sind als europäische Mittelständler. Damit kommt das über Jahrzehnte gepflegte Geschäftsmodell der Autofertiger – möglichst wenig selbst machen, möglichst viel Wertschöpfung auf Zulieferer abwälzen – unter Druck.

„Die Kosten für eine Batterie belaufen sich pro Auto auaf 15 000 bis 20 000 Euro“, so Ford-Deutschlandchef Gunnar Herrmann. Etwa 80 Prozent davon seien direkte Rohstoffkosten. Diese würden sich durch die Volatilität der Rohstoffpreise häufig kurzfristig um zehn bis 15 Prozent verändern. Der Alptraum für jeden Einkaufschef.

Immer wahrscheinlicher wird, dass sich doch noch ein oder gar mehrere europäische Konsortien  bilden, um eine eigene Zellenfertigung aus der Taufe zu heben. „Jeder rechnet die Investitionen zurzeit durch”, heißt es bei Ford. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verspricht eine Förderung in Höhe von einer Milliarde Euro. Damit wäre immerhin eine Anschubfinanzierung sichergestellt.   Bis zum 24. Februar sollen die Firmen angeblich ihre Vorstellungen für neue Werke in Brüssel vorlegen. Bei einem Treffen mit Vertretern der Autobranche, dem Anlagenbau, Chemieunternehmen und der IG Metall habe der Minister diese Woche sogar angekündigt, sich für eine sichere Versorgung mit Rohstoffen für Batteriezellen einzusetzen, heißt es.

Lieber selbst Batteriezellen bauen, als sich erpressen zu lassen

Der prognostizierte Bedarf an Batteriezellen ist immens. Allein VW wird jährlich 150 Gigawattstunden benötigen, so der Konzern. Die äußerst selbstbewusste Preispolitik der asiatischen Zellen-Lieferanten jagt de Branche Angst ein. Sobald die Nachfrage nach ihren Produkten steigt, werden Autofirmen – wie kürzlich Audi bei der Einführung des e-tron – mit zweistelligen Preisaufschlägen zur Kasse gebeten. Gut möglich also, dass künftige Batterien umso teurer werden, je mehr Stromer die Kunden kaufen.

Saubere, individuelle Mobilität nur für die Reichen?

Auch die Brüsseler CO2-Ziele stellen die Industrie vor Herausforderungen. Nach früheren EU-Plänen sollten die Emissionen bis 2030 gegenüber dem Stand von 2020 um 30 Prozent reduziert werden  – also von 95 Gramm CO2 pro Kilometer im Jahr 2020 auf circa 66,5 Gramm 2030. Das entspreche einem Auto mit 3,4 Liter Verbrauch, heißt es. Die kürzlich vom Europäischen Rat beschlossene Reduktion um 35 Prozent auf 61,75 Gramm/km setze sogar einen Verbrauch von nur noch 2,3 Liter auf 100 km voraus.

Zu schaffen ist das nur mit supersparsamen Motoren – oder mit einem hohen Anteil von Hybriden und Elektroautos.  Ferdinand Piech trieb das Ein-Liter-Auto voran, doch wirklich angekommen in der Massenproduktion sind Autos mit sehr niedrigen Verbräuchen noch nicht.

Ford-Geschäftsführer Clemens Doepgen kann sich aktuell schwer vorstellen, wie  auch in Zukunft preiswerte Autos verkauft werden können.  Für Einkommensschwache Bevölkerungsschichten  wird die individuelle Mobilität deutlich weniger erschwinglich werden, fürchtet er.

Einziger Ausweg: Die Hersteller verkaufen in Regionen mit geringer Kaufkraft weiter Verbrenner mit hohen CO2-Werten und drücken die Flottenwerte mit einem überproportional hohen Verkauf von Elektro-Pkw in den urbanen Zentren Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs. „Wir müssten dann etwa 35 bis 40 Prozent unseres Absatzes mit Elektroautos generieren”, so Herrmann.

Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.