Archiv für den Monat: September 2019

VW baut Batteriezellen, will aber keine echte Gigafactory

80 Elektro- und Plug-in-Hybrid-Modelle will VW bis 2025 auf den Markt bringen. Bisher ist unklar, woher die Millionen dafür nötigen Batteriezellen kommen sollen. Jetzt nimmt der Hersteller auf Drängen seines Betriebsratschefs Bernd Osterloh bis 2024 eine Milliarde Euro in die Hand und baut eine Zellenfertigung in Salzgitter. Sie soll eine Kapazität von 16 Gigawattstunden im Jahr haben. VW-Einkaufsvorstand Stefan Sommer stellte aber klar: Eine wirklich große Gigafactory will der Konzern nicht in Eigenregie betreiben.

Der weltweite Bedarf an Batteriezellen wird für das Jahr je nach Schätzung mit 1000 bis 1500 Gigawattstunden angesetzt, für das Jahr 2050 auf 3500 bis 6000 Gigawattstunden. Volkswagen selbst schätzt seinen Bedarf für 2025 auf über 300 Gigawattstunden.

Milliarden-Kosten für Batteriezellen

Für zehn  Gigawattstunden rechne er mit rund einer Milliarde Euro Kosten, sagte VW-Vorstand Sommer. „Das Ganze müssen wir investieren, obwohl es noch gar keinen funktionierenden Markt für die Zellen gibt.“ Schließlich würden auf den Straßen immer noch in erster Linie Autos mit Verbrennungsmotoren fahren. VW wolle deswegen das Risiko mit Lieferanten teilen. Zuvor hatten sich schon Bosch, BMW  und Daimler gegen eine eigene Zellfertigung entschieden. Die Unternehmen fürchten, dass chinesische Hersteller ihre Wettbewerber bei Bedarf mit Dumpingpreisen aus dem Markt drängen.

Die Autohersteller bauen aktuell Know-How auf, um ihre Zulieferer lückenlos überwachen zu können. In der VW-Pilotanlage in Salzgitter erproben zurzeit 300 Experten die Fertigung von Lithium-Ionen-Akkus. Unterstützung bekommt VW in Salzgitter durch das schwedische Start-up Northvolt, das von Ex-Tesla-Managern geführt wird. Vor kurzem ist VW bei Northvolt mit 20 Prozent eingestiegen. Das Start-up baut eine Gigafactory im Norden Schwedens. Sie dient als Blaupause für die VW-Fertigung in Salzgitter.

Das  Batteriezellen-Zentrum wird von Frank Blome geführt, den VW von Daimler abwarb. Er muss jetzt die Möglichkeiten der Zellen ausreizen. Wichtig ist eine hohe Energiedichte, damit pro Kilogramm Gewicht möglichst viel Leistung an den Rädern ankommt. „ Wir sind heute bei 260 bis 270 Wattstunden pro Kilo“, sagt Blome. Bis zum Serienstart hofft er auf 300 Wattstunden. Wirklich große Sprünge sind also nicht mehr drin. Erst mit Entwicklung der Feststoffbatterie wird aus den Akkus noch einmal deutlich mehr herauszuholen sein.

Bio und zu 90 Prozent recyclebar

Entscheidend ist für VW im Hinblick auf die Kosten die Recycling-Quote. Heute werden nach Unternehmensangaben 70 Prozent der Batterie wiederverwertet. 90 Prozent sollen es in wenigen Jahren sein. „Wir schmelzen nicht ein, sondern schreddern unter Schutzgas“, so Blome. So könnten maximal viele der in der Batterie verbauten teuren Stoffe zurückgewonnen werden. Seinen Kunden garantiert VW außerdem, dass die Zellen ausschließlich mit Ökoenergie gefertigt werden. Kinderarbeit sei für die Gewinnung der Rohstoffe wie Kobalt oder Lithium tabu.

Aktuell bezieht VW Zellen von asiatischen Herstellern. Unproblematisch ist das nicht immer. Denn Lieferanten wie LG Chem und Samsung arbeiten für verschiedenen Industrien gleichzeitig und stellen ihre Fertigung nur ungern gemäß der Spezifikationen der Autoindustrie um. Und sie betreiben knallharte Machtpolitik. Als klar wurde, dass sich in Europa verschiedene Unternehmen zusammentun, um selbst Zellen herzustellen, drohten sie mehr oder minder offen mit einem Lieferboykott.

Musterfeststellungsklage: VW contra Dieselkunden-Anwälte

Noch zwei Wochen bis zur Verhandlung über die Musterfeststellungsklage. Auf den letzten Metern kämpfen Anwälte um Mandanten und um die Deutungshoheit über das Verfahren. Die Frage, warum VW seine deutschen Kunden nicht ebenso wie US-amerikanischen Kfz-Besitzer für die Betrugs-Software entschädigt, wird juristisch zerlegt und aufgerieben. Der Konzern muss die finanziellen Folgen von Dieselgate eindämmen – auch wenn Sympathiewerbung für einen Autohersteller vermutlich anders funktionieren würde.

Aktuell äußert VW äußerte Zweifel an der beim Bundesamt für Justiz geführten Liste der von Dieselgate betroffenen Kunden. Rund 390.000 Kfz-Halter haben sich eingetragen. Nicht alle, so die VW-Anwälte, erfüllen die Voraussetzungen für das Verfahren.

Jeder fünfte Kläger ohne Anspruch?

Eine Auswertung der Liste Ende Januar habe gezeigt, dass zehn Prozent der Eintragungen Mehrfachanmeldungen oder Doubletten seien. 19 Prozent der Kfz-Halter in der Liste hätten ihren VW-Diesel erst nach dem 22. September 2015 gekauft. An diesem Datum informierte VW per ad-hoc-Mitteilung über die Manipulation an etwa elf Millionen Diesel-Pkw. Auch Kunden, die ein Auto kaufen wollten, wussten ab diesem Tag Bescheid, dass Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 von Dieselgate betroffen waren, argumentiert VW. Kläger-Anwälte gehen dagegen davon aus, dass Autobesitzer erst dann im Bilde waren, nachdem sie das Kraftfahrt-Bundesamt auf die Betrugs-Software hingewiesen hatte.

Wirklich kriegsentscheidend ist die endgültige Zahl der Anmeldungen nicht, da 50 Kläger für ein Musterfeststellungsverfahren reichen. VW ist aber – ähnlich wie den Anwälte von Individualklägern – daran gelegen, die Schwachstellen des Musterverfahrens aufzuzeigen. Es sei nicht vor dem Jahr 2024 mit einer Entscheidung zu rechnen, berichten die Juristen. Danach müssten die Kunden ihre individuellen Ansprüche in Einzelverfahren beziffern lassen. Am Ende stünde für viele Pkw-Besitzer unterm Strich wohl eine Null, da eventuelle Schadenersatzansprüche in der Regel mit der Nutzungsentschädigung für den Betrugs-Pkw verrechnet werden. Der Kunde fährt ja weiter mit seinem Auto, so dass die Gerichte in einer großen Zahl von Fällen einen Schadenersatz entsprechend niedriger ansetzen.

Weitere Musterverfahren im Ausland

In Australien einigte sich VW gerade mit etwa 100.000 Autobesitzern auf eine Entschädigung von durchschnittlich 1400 Euro pro Pkw. Eine Blaupause für Deutschland sei dies aber nicht, teilen die VW-Anwälte mit. In einer ganzen Reihe von weiteren Ländern stehen ähnliche Verfahren wie in Deutschland an. Und auch dort wird VW versuchen, abzuwehren, was nur geht. Rund 30 Milliarden Euro kostete der Skandal VW bereits. Mehr darf es aus der Sicht des Herstellers einfach nicht werden.

Gansel-Anwalt Philipp Caba

Anwälte kämpfen um geschädigte VW-Besitzer

Bis zum 30. September müssen sich Pkw-Halter, die ein Auto mit dem toxischen VW-Motor EA 189 fahren, entscheiden: Wollen sie sich der Musterfeststellungsklage des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (VZBV) und des ADAC anschließen, auf eigene Faust klagen – oder sich die Mühen einer gerichtlichen Auseinandersetzung komplett sparen?

2,8 Millionen Motoren der Reihe EA 189 gibt es angeblich in Deutschland. Rund 430 000 Autobesitzer haben sich der Musterfeststellungklage bisher angeschlossen. Sie müssen zunächst nichts tun, außer abzuwarten, wie das OLG Braunschweig beziehungsweise der BGH urteilen.

Zähes Musterverfahren befürchtet

Klingt praktisch, ist es aber nicht, argumentieren jetzt verschiedene Juristen, unter anderem die Kanzlei Gansel Rechtsanwälte. Das Musterverfahren werden sich vermutlich ewig hinziehen, sagen sie. Zu erwarten sei ein zähes Ping-Pong zwischen BGH und OLG Braunschweig, ähnlich dem Telekom-Anlegerprozess. Und selbst wenn die Richter irgendwann feststellen würden, dass VW seine Kunden übervorteilt habe, müsse immer noch jeder Autofahrer die Höhe der Entschädigung in einem gesonderten Verfahren feststellen lassen.

Viel effizienter und schneller geht es mit einer Individualklage, sagt Philipp Caba, der bei Gansel Rechtsanwälte das Diesel-Team leitet. Die Kanzlei führte zuletzt bis zu 1200 Gerichtstermine pro Monat, die meisten davon für Besitzer eines EA 189-Autos. Sie arbeitet mit dem Prozessfinanzierer Therium zusammen. Er ninmt Kunden gegen eine Erfolgsbeteiligung von rund 20 Prozent das finanzielle Risiko einer Klage ab.

Die Erfolgsaussichten seien knapp vier Jahre nach Bekanntwerden von Dieselgate denkbar gut, sagt Caba. „Die Kläger gewinnen fast jedes Verfahren.“. Außer in Braunschweig würden die deutschen Landgerichte mittlerweile größtenteils im Sinn der Verbraucher entscheiden.

Wobei „gewinnen“ für Caba auch beinhaltet, dass sich VW mit den Klägern vergleicht, sobald sich eine Niederlage für den Hersteller abzeichnet. Vielfach, berichtet Caba, überweise VW einfach in letzter Minute den geforderten Betrag unaufgefordert auf das Konto des Pkw-Besitzers. Alles nur, um einen verbraucherfreundlichen Richterspruch zu verhindern.

Anfang 2020 wird der BGH in einem Verfahren urteilen, das vom Prozessfinanzierer myRight geführt wird. Interessant wird sein, ob und wie sich der Richterspruch auf die Musterfeststellungsklage auswirkt. Sollten sich die obersten Richter im myRight-Verfahren auf die Seite der Autobesitzer schlagen, wäre denkbar, dass VW den Musterklägern einen Vergleich anbietet. In diesem Fall können die Musterkläger wählen, ob sie den Vergleich annehmen oder nicht.

Friedrich empfiehlt Nachrüstung

Axel Friedrich, der maßgeblich an der Aufdeckung des Dieselskandals beteiligt war, plädiert für einen dritten Weg: Mit überschaubarem technischen Aufwand könnten Diesel mit überhöhten Stickoxid-Emissionen nachgerüstet werden, konstatiert er. Dies sei für jede Art von Diesel sinnvoll, nicht nur für VW. Verschiedene Anbieter hätten für ihre Lösungen entweder bereits Zulassungen vom KBA oder würden sie für die nächsten Monate erwarten.

Ein spürbarer Mehrverbrauch oder eine schwächere Motorleistung seien nicht zu befürchten, beteuert Martin Pley, einer der Anbieter. Auch die Baumot Group hat ein Nachrüstkit entwickelt.

Die Kosten: Je nach Anbieter zwischen 1500 und gut 3000 Euro. VW und Daimler übernehmen bis zu 3000 Euro für Euro-5-Fahrzeuge in Städten, die akut von Fahrverboten betroffen sind. BMW dagegen lässt seine Kunden auf den Kosten sitzen.