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Autozulieferer schlagen Alarm

OEM montierten vermarkten die Pkw, Zulieferer liefern den größten Teil der Wertschöpfung und schweigen ansonsten über die Geschäftsbeziehungen mit der Industrie – so funktioniert das Zusammenspiel zwischen großen und kleinen Unternehmen in der Branche normalerweise. Aktuell ist alles anders. Jetzt melden sich der Industrieverband für Blechumformung (IBU), der Industrieverband Massivumformung (IMU) und der Deutschen Schraubenverbandes (DSV) zu Wort. Die Lage sei „toxisch“ heißt es. Die Betriebe fürchten, angesichts der Disruptionen der Lieferketten aufgerieben zu werden.

In einer Pressemitteilung werden die Verbände ungewohnt deutlich: Die Zulieferer würden zwischen allen Stühlen sitzen, heißt es dort. „Ihre Vormateriallieferanten erwarten Mengenorder für 2022, nennen teilweise aber noch keine Preise. Ihre Kunden schweigen, ignorieren Gesprächswünsche und verschieben zudem kurzfristig Abrufe – aufgrund chipmangelbedingter Produktionsstopps.“ Das „torpediere jede Planung“.

Zuletzt meldeten Autohersteller immer wieder Ausfälle, weil Chips und andere Vorprodukte fehlten. Noch im nächsten Jahr, je nach Prognose sogar noch 2023, werde der Engpass zu spüren sein, heißt es. Die Metall-Zulieferer wollen die Chipkrise allerdings nicht als Argument für kurzfristige Stornierungen gelten lassen:  „Das Beschaffungsrisiko für Stahl liegt nach Herstelleransicht beim Zulieferer. Entsprechend liegt das Beschaffungsrisiko für Chips beim Automobilproduzenten“, konstatiert IBU-Geschäftsführer Bernhard Jacobs.

Audi will raus aus dem Tal der Tränen

Für Audi, einst stolze Ertragsperle im VW-Konzern, waren die letzten Jahre nicht leicht. Das Unternehmen sah viele Entwicklungschefs in Folge. Es litt unter Dieselgate und einem CEO, der seinen Posten verlor, vorübergehend in Haft  saß und sich jetzt in einem Mammutverfahren vor Gericht verantworten muss. Die Umsatzrendite, zuletzt 5,5 Prozent, ist eines Premiumherstellers unwürdig. Manch einer von den Audianern konnte die Welt mit ihren ständig neuen Zumutungen aus der Chefetage oder von der Politik nicht mehr verstehen.

Kein neuer Verbrenner ab 2025

Zeit für einen Neustart bei Audi. Viele Köpfe wurden ausgetauscht, etliche Manger des Wettbwerbers BMW fanden eine neue Karrierechance und gutes Salär in Ingolstadt. Die ewige Diskussion um den Antriebsstrang wurde abgeschlossen: Ab 2025 wird kein Verbrenner mehr entwickelt, ab 2033 (China ausgeschlossen) keiner mehr produziert. Von einer ernsthaften Perspektive für den Wasserstoffantrieb oder von E-Fuels, die den Verbrenner länger am Leben halten könnten, ist keine Rede mehr. 

Matrix anstelle früherer Hierarchien

Schon bevor Ex-BMW-Vorstand Markus Duesmann als Audi-Boss antrat, wurden Produktion und Logistik umorganisiert. Anstelle der früheren Hierarchien steht jetzt die Matrix. Die Transformation geht weiter. Audi verordnet sich eine neue Führungsstruktur. Anders als früher konzentriert sich die Macht nicht mehr nur um einzelne Automodelle oder technische Einheiten. Gleichberechtigt reden jetzt beispielsweise die Verantwortlichen für Nachhaltigkeit und Digitalisierung von Anfang an mit. Konflikte sind programmiert. Für den einen oder anderen Audi-Hierarchen dürfte die neue Struktur einer Entmachtung gleichkommen. 

Gleichzeitig schult Audi seine Ingenieure und die Menschen in der Fertigung um. Kein Entwickler soll sich mehr nur um Hardware kümmern, alle brauchen Digitalkompetenz. Anders wird Audi die kürzeren Entwicklungszyklen, die mit interaktiven Funktionen im Auto einhergehen, nicht mehr beherrschen können. Zwar ist für die neue Betriebssoftware die VW-Einheit Cariad zuständig, trotzdem braucht Audi weiterhin IT-Know-How.  Eine halbe Milliarde Euro kann Personalvorständin Sabine Maaßen bis 2025 für Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen ausgeben. 

Mammut-Strategie-Workshop für alle

Für den Umbau seine Organisation hat sich Audi den Sachverstand des Bielefelder Organisationssoziologie Stefan Kühl eingekauft. Der sagt: “Ein Prozess, von dem alle begeistert sind, ist kein richtiger Veränderungsprozess.” Damit der Frust der nicht Begeisterten nicht allzu groß wird, hat Audi in einer Art sehr großem Palaver über 500 Mitarbeiter an der gesamten Unternehmensstrategie mitarbeiten lassen. Um das Gefühl, die Häuptlinge würden über die Köpfe der Indianer hinweg planen, gar nicht erst aufkommen zu lassen, wurden auch untere Hierarchieebenen einbezogen. Über die Hälfte der Teilnehmer, heißt es, seien tarifliche bezahlte Beschäftigte gewesen. 

Bitter mag für den einen oder anderen Audianer sein, dass trotz des beherzten Umbaus der ganz große Auftritt der Marke erst 2025 kommen wird. Geplant sind ein futuristischer Roadster und eine elegante Elektrolimousine mit 700-PS, möglichst nahe am Concept Car Grand Sphere. Ein optisch reduzierter Innenraum soll alles bieten, was an Interaktivität, an Gesten- und Sprachsteuerung Stand der Technik ist. Unter anderem wird das Lenkrad wohl versenkbar sein, da das Auto autonomes Fahren des Levels 4 beherrschen soll. 

Ankündigungen für autonome Fahrfunktionen sind generell mit Vorsicht zu genießen, doch als greifbarer Traum taugt der futuristische Audi, der auf der IAA als Konzeptauto zu bewundern sein wird, allemal. Dazu kommt die Zuversicht Markus Duesmanns. Mit seiner neuen Strategie und den neuen Modellen könne Audi auch wirtschaftlich durchstarten kann, sagt der Vorstandschef. Elf Prozent Rendite sollten schon drin sein. Wenn das kein Wort ist. 

VW wird elektrischer und digitaler

Gerade erst wurde der Vertrag von Herbert Diess zur Freude der Börse bis 2025 verlängert, jetzt berichtet der VW-Chef unter dem Schlagwort „New Auto“, wie es mit dem Autobauer weitergehen soll. Die Rendite muss rauf, die Kosten runter – Freunde der Modellvielfalt unter den Kunden und im Konzern müssen sich auf harte Zeiten einstellen. Gleichzeitig will Diess die Softwarekompetenz von Volkswagen ausbauen. Ab 2025 soll die Software-Einheit Cariad Erlöse generieren. 

In die kommende Planungsrunde im Herbst geht der Hersteller jetzt mit dem Ziel einer operativen Umsatzrendite von acht bis neun Prozent, also einem Prozentpunkt mehr als bisher. Die Fixkosten sollen um fünf, die Materialkosten um sieben Prozent reduziert werden. Unklar ist bisher, ob über die bisher bekannten Programme hinaus Stellenabbau geplant ist. Mit der neuen Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo habe er eine solide Vertrauensgrundlage, sagt der Konzernchef. Wie solide, wird sich in den nächsten Monaten weisen.

Heute noch sorgen teils hoch motorisierte Verbrenner für komfortable Margen. Aber der Druck der Regulierer könnten eine Negativspirale in Gang setzen. Je weniger Verbrenner VW verkauft, desto geringer kann es die Skaleneffekte, die mit Millionen-Stückzahlen einhergehen, in die Waagschale werfen. Gleichzeitig sollen die Verkäufe der Stromer steil nach oben gehen. Innerhalb von zwei bis drei Jahren dürften  deswegen die Margen von Elektro-und Verbrennungsfahrzeugen auf gleichem Niveau liegen, führt Finanzvorstand Arno Antlitz aus.  Bis 2040 sollen „nahezu 100 Prozent der neuen Konzernfahrzeuge in den Hauptmärkten” emissionsfrei sein, heißt es. Bisher hatte VW angegeben, bis 2050 komplett klimaneutral sein zu wollen. 

Damit die Kosten nicht aus dem Ruder laufen, setzt VW auf eine einheitliche Elektro-Architektur ab 2026 – ein Kulturbruch für den Konzern, der sich früher eine Vielzahl unterschiedlicher Hardwarekomponenten geleistet hat. Auch bei den Batterien plant der Konzern vielfältig einsetzbare Strukturen, selbst wenn die Zellen selbst sich je nach Marke durch unterschiedliche Chemie unterscheiden werden. Zusätzlich zu der Northvolt-Fertigungsstätte in Schweden und der Fabrik in Salzgitter wird wohl bald der Bau einer Gigafactory in Spanien angegangen.  

Die Software-Einheit Cariad kostet Volkswagen noch jede Menge Geld. Für die Anfangsjahre, bis VW eine vollständiges Betriebssystem fürs Auto gebaut hat, sind Investitionen von zwei bis 2,5 Milliarden Euro pro Jahr eingeplant. Herbert Diess geht davon aus, dass die Umsätze mit Software auf dem Mobilitätsmarkt bis 2030 geschätzt 1,2 Billionen Euro beziehungsweise rund ein Drittel zum Umsatz beitragen werden. 

Diesen Markt will Volkswagen erschließen, unter anderem mit Pkw-Software fürs Autonome Fahren, die an andere Hersteller verkauft wird. In welchem Umfang das gelingen wird, ist unklar. Der Verkauf des VW-Auto-Betriebssystems an den Partner Ford scheiterte bisher; und während die VW-Ingenieure nach und nach ihre Kompetenzen ausbauen, kommt Wettbewerber Google schnell voran. Unter anderem Ford, General Motors und Volvo fahren arbeiten bereits mit Googles Android Auto. Volkswagen muss sich also ranhalten, jeder Meilenstein zählt. Immerhin kommt der Hersteller jetzt endlich mit seinen drahtlosen “over the air” Updates klar, ein Angebot, das Tesla seinen Kunden schon lange macht. “Ab Sommer erhält die ID Familie alle drei Monate ein Update over the air”, verspricht Cariad-Chef Dirk Hilgenberg.

Fruchtloses Hickhack um die Gigafactory

Tag Eins im Erörterungstermin über die geplante Tesla-Fabrik in Grünheide. Drei Stunden nach dem Beginn der Veranstaltung ist man gefühlt keinen Millimeter weitergekommen. Anstelle einer Diskussion über das Vorhaben lieferten sich die Beteiligten schlechtgelaunte Wortgefechte über Verfahrensfragen. Livestream oder nicht, Wortprotokoll oder sinngemäße Zusammenfassung und die Frage, ob Vertreter von Tesla, die auf dem Podium keinen Platz mehr finden, auch unter den Einwendern sitzen dürfe – das Streitpotential zwischen Tesla-Gegnern und dem Landesamt für Umwelt scheint unerschöpflich. Besonders engagiert äußert sich die Sängerin Julia Neigel („Schatten an der Wand“), die den Brandenburger Behörden vorwirft, die Bevölkerung beim Genehmigungsverfahren außen vor zu lassen. Zuvor war die Forderung laut geworden, Versammlungsleiter Ulrich Stock, der im Landesamt für Umwelt für den Technischen Umweltschutz zuständig ist, wegen Befangenheit abzulehnen. Der Antrag wurde erwartungsgemäß abgelehnt, Stock lässt Neigel später irgendwann das Mikrofon abdrehen.

Stock ist Konfrontationen mit entzürnten Bürgern von früheren Verfahren gewohnt. Aber die Stimmung bei der Tesla-Erörterung, sagt er in einer Pause, sei schon „ungewöhnlich“. „Buhrufe haben wir normalerweise nicht“, berichtet er. Wahrscheinlich ist es ja eher so: Tesla hielt es bisher nicht für ratsam, sein Projekt mehr als nur rudimentär in der Öffentlichkeit zu verteidigen. Nolens volens übernahm die Brandenburger Landesregierung den Job, mit der Bevölkerung über die Gigafactory zu verhandeln. Gut im Sinn der Demokratie ist das nicht. Ministerpräsident Dietmar Woidke und Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (beide SPD) wurden als PR-Abgesandte für den Elektroauto-Hersteller missbraucht. Die Quittung bekommen die Behörden jetzt in Erkner. Der Termin in Erkner ist bisher auf drei Tage angesetzt. Aber dass man bis Freitagabend auch wirklich mit allen Einwendungen gegen die Tesla-Fabrik durchgekommen ist, glaubt hier im Moment niemand.

Batteriezellen und eigene E-Auto-Modelle aus Grünheide

Tesla bereitet seinen nächsten Antrag vor

Insgesamt drei Terawattstunden Speicherkapapzität will Tesla-Chef Elon Musk ab 2030 jährlich bauen können. Eine beeindruckende Zahl, für die der Standort Grünheide bei Berlin eine wichtige Rolle spielt: Mindestens für den Eigenbedarf sollen dort Zellen produziert werden, wie ein Tesla-Sprecher jetzt bestätigte. Ab wann, ist noch unklar. Für die Zellfertigung muss genauso wie für die Autoproduktion ein Antrag gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz gestellt werden. Konflikte mit Umweltschutzern sind programmiert, vor allem wegen des Wasserverbrauchs.

Unklar ist immer noch, wo das geplante Design- und Entwicklungszentrum hinkommt. Irgendwo im Großraum Berlin, man sei auf der Suche, heißt es. Künftige Modelle für Europa, möglicherweise auch für den globalen Markt sollen hier designt werden, wahrscheinlich auch das geplante preisgünstige Kompaktauto. Auch sollen in Berlin lokale Modellvarianten entstehen – das in Grünheide gefertigte Model Y wird also anders aussehen als die in den USA gefertigten Autos. Noch hält sich Tesla allerdings mit Einstellungen zurück. „Einige hundert“ Arbeitsverträge für Grünheide seien bisher geschlossen worden, berichtete ein Tesla-Vertreter. Schließlich gebe es ja noch nicht einmal einen genehmigten Bauantrag. Perspektivisch (bei einer Produktion von 500.000 Autos im Jahr) sind 12.000 Arbeitsplätze geplant, bei höheren Stückzahlen entsprechend mehr.

Steffen Schorcht

„E-Autos auf der Straße und für uns der Auspuff vor der Tür“

Anti-Tesla Aktivisten graut vor der Gigafactory Berlin

Während die Autobranche Elon Musks Ankündigungen vom „Battery Day“ verdaut, trudeln Tesla-Gegner, Vertreter des Herstellers und Anwälte zum Erörterungstermin in Erkner ein. Steffen Schorcht, wohl das bekannteste Mitglied der Bürgerinitiative „Grünheide gegen Gigafactory“ ist mit dem Rad gekommen. Er gibt sich „erleichtert, dass der Termin jetzt endlich stattfindet“ Die Einbeziehung der Bürger in die Tesla-Planungen findet er dürftig.

Per Luftlinie sind es von Schorchts Zuhause in Erkner nur ein bis zwei Kilometer bis zur Tesla-Baustelle. Wenn die Gigafactory ihre Arbeit aufnehme, würden fast 1000 Lkw und 23 Güterzüge pro Tag nach Grünheide donnern, prophezeit der 60-jährige promovierte Elektroingenieur. „Mit uns hat hat man noch nicht einmal über eine Lärmschutzwandgesprochen“, kritisiert er. „Man freut sich über Elektroautos auf der Straße, und wir haben den Auspuff vor der Tür.“

Tesla bedroht das Idyll

Auf den Anti-Tesla-Zug sprangen schon kurz nach dem Beginn der Proteste AfD-Angehörige und militante Antifa-Kräfte auf, zum Verdruss der meisten Umweltaktivisten. „Wir sind keine Fortschrittsverweigerer, leugnen den Klimawandel nicht, haben mit der AfD nichts zu tun“, erklärt Schorcht geduldig. Die meisten Tesla-Kritiker wohne im bildhübschen lauschigen Berliner Vorort-Idyll und wollen einfach nur, dass sich möglich wenig ändert. Mit Elon Musk und seine ambitionierten Plänen für die Fabrik in Grünheide stehen die Chancen dafür denkbar schlecht.

Politischer Flurschaden

Das Verhältnis zwischen den Gegnern der entstehenden Fabrik und der Politik könnte, milde gesprochen, besser sein. Steffen Schorcht mag der Versicherung des Brandenburger SPD-Wirtschaftsministers Jörg Steinbach nicht glauben, der Hersteller dürfe sich nur Wasser für bis zu rund 150.000 Pkw pro Tag vom lokalen Versorgungsverbund liefern lassen. „Steinbach sagt heute so und morgen so.“ Tesla selbst tut herzlich wenig, um die Bedenken der Anwohner zu zerstreuen. Presseanfragen werden regelmäßig abgewimmelt, Anfragen von Bürgern an eine Kommunikationsagentur verwiesen.

Eine ganze Reihe von Naturschutzverbänden haben sich der Anti-Tesla-Bewegung angeschlossen, unter anderem die Naturfreunde in Berlin, die Grüne Jugend Berlin und Brandenburg und der lokale Naturschutzbund. Wütend macht die Umweltschützer besonders das öffentliche Statement eines Behörden-Vertreters. Unter den Einwänden, die beim Erörterungsverfahren geltend gemacht werden, hieß es bereits vor der Erörterung, sei keiner, der die Gigafactory ernsthaft gefährden könnte.

Politisch heikel ist die Vorab-Genehmigung für den Bau der Fabrik ja ohnehin. Wer glaubt schon, der Wille der Bürger spiele eine Rolle, wenn die Mauern der Fabrik bereits hochgezogen werden? „Die Demokratie wird ausgehebelt“, sagt Uwe Hiksch von den Berliner Naturfreunden „Ich habe bei vergleichbaren Erörterungen oft verloren“, argumentiert er. „Das ist völlig in Ordnung. Aber wenn ich von vorneherein weiß, dass ich kein Recht bekommen werde, ist das inakzeptabel.“

Twitter / Elon Musk

414 Versuche, die Tesla-Gigafactory zu stoppen

Showdown in der Turnhalle: Gegner der Fabrik ,Vertreter von Tesla und der Behörden beim Erörterungstermin

Auf dem Gelände der geplanten Tesla-Gigafactory in Grünheide östlich von Berlin wachsen die ersten Gebäude in die Luft, schon denkt der Elektroauto-Pionier über eine Erweiterung seiner Fabrik nach.  Die Dimensionen sind atemberaubend, bis zu zwei Millionen Pkw will Tesla-Gründer Elon Musk östlich von Berlin einmal bauen lassen. Aber jetzt erst kommt es zur öffentlichen Erörterung über die Einwände der Tesla-Gegner. Wegen Corona musste der ursprünglich für März geplante Termin verschoben werden.

Tesla trägt die Kosten

Die Front der Tesla-Gegner ist beachtlich. Insgesamt 414 Einwendungen gegen die Fabrik liegen vor, berichtete gestern Ulrich Stock vom Brandenburger Landesamt für Umwelt. Für den Auftakt wurde die wenige Kilometer vom Tesla-Baugrundstück entfernte Stadthalle von Erkner gewählt. Nur direkt Beteiligte dürfen die Halle betreten, die Presse wird in ein eigens aufgebautes Zelt daneben verwiesen. Erste Entscheidungen über den Bauantrag sind in Erkner zwar noch nicht zu erwaraten. Das Landesamt für Umwelt, das über die Baugenehmigung entscheidet, wird aber wohl eine vorläufige Einschätzung zu einzelnen Einwendungen abgeben. Eine endgültige Entscheidung wird es allerfrühestens im November geben. Im für Tesla ungünstigsten Fall muss der Hersteller alles, was bisher auf dem Gelände Gegen den Bescheid des Landesamts für Umwelt kann geklagt werden. Allerdings hängt es von den zuständigen Gerichten ab, ob Klagen eine aufschiebende Wirkung entfalten, sprich: die Fertigstellung der Fabrik verhindern können.

Soll trotz Corona jedem Einwender Platz bieten, der seine Kritik persönlich vortragen will: Stadthalle Erkner

Hauptthema: das Wasser

Vorerst hofft Erörterungs-Leiter Ulrich Stock, innerhalb von drei Tagen, an denen bis in den Abend hinein beraten werden dürfte, mit den Einwendungen durchzukommen. Der größte Teil der Beanstandungen bezieht sich auf die – angebliche oder tatsächliche – Gefahr, die Tesla für die Wasserversorgung der Region darstellt. Schon heute macht sich der Klimawandel bemerkbar, sinken die Pegel der Flüssel und Seen. Mit einem Wasserbedarf von 238 Kubikmeter pro Stunde (laut ursprünglichen Planungen waren es noch 372 Kubikmeter) geht der Hersteller tatsächlich an die Schmerzgrenze dessen, was die bislang erschlossenen Ressourcen der Region hergeben. Dabei bezieht sich der aktuelle Bauantrag nur auf die erste Ausbaustufe des Werkes mit einer Kapazität von etwa 150.000 Autos im Jahr. Will Tesla mehr Pkw bauen, muss es womöglich die Oder anzapfen und deren Wasser aufwendig filtern. 

Die Kosten trägt Tesla

Für die Kosten des Erörterungsverfahrens muss Tesla aufkommen. Der Hersteller ist genauso für die Hallenmiete, das technisches Personal, bis hin zu Wasserflaschen und Müsliriegeln für die Presseleute zuständig. Dazu kommen 1600 Euro pro Erörterungs-Tag, die die Behörden Tesla in Rechnung stellen. Die Gebühren für das gesamte Genehmigungsverfahren leiten sich vom Investitionsvolumen ab und liegen im Millionen-Bereich, heißt es. Aber was heißt das schon bei einer Gesamtsumme von bis zu vier Milliarden Euro, die die Gigafactory kosten dürfte. 

Keine Lehrer, keine Klassen – VW unterstützt Programmierschule „42Wolfsburg“

Soll er von Schülern reden, von Studenten – oder doch besser von Kollegen? Ralph Linde, Chef der VW Group Academy entscheidet sich am Ende für “Menschen”. 600 junge Menschen, sagt er also, sollen im nächsten Mai in Wolfsburg ein außergewöhnliches Studium beginnen. Zusammen mit der französischen Akademie “42”, einem global tätigen gemeinnützigen Bildungsprojekt aus Frankreich, startet VW einen Lehrgang für Programmierer. 

Die Bezeichnung “42” spielt auf eine legendäre Episode aus der Romanreihe „Per Anhalter durch die Galaxis” an. Gefragt, was der Sinn des Lebens sei, rechnet ein Computer Millionen Jahre und spuckt dann die nebulöse Antwort aus – “42”. Seitdem kann die Zahl als Symbol für unkonventionellem witzige  Herangehensweisen an komplexe Herausforderungen gesehen werden.

Bei einer der zahlreichen weltweiten „42”-Akademien  kann sich jeder bewerben, egal, ob er Abitur hat oder nicht. Er muss nur lernfähig sein und das in einem Auswahlverfahren unter Beweis stellen. Lehrer gibt es an der Software-Uni keine, stattdessen lernen die Studenten in Gruppen selbstbestimmt drei bis fünf Jahre lang an verschiedenen Aufgaben. Einen offiziellen Abschluss erwerben sie nicht – brauchen sie auch nicht, sagt Linde. Die allermeisten Teilnehmer der Programmierschule werden von der Industrie abgeworben, bevor sie sämtliche vorgesehenen “Levels” absolviert haben. Studiengebühren gibt es keine, allerdings müssen die Studenten selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen. 

Vollkommen selbstlos ist das Engagement von VW nicht. Der Konzern  braucht dringend IT-Kräfte. Bis 2025 will er 11.000 Experten für seine neue Einheit car.software.org  gewonnen haben, sei es aus den eigenen Reihen oder von außerhalb. 

Volkswagen hat die nötigen Milliarden, um sein ehrgeiziges Projekt, den Bau einer vollkommen neuen Software-Architektur fürs Auto, durchzuziehen. Aber es fehlt ihm an Fachwissen. Die meisten Konzernverantwortlichen kommen aus dem Fahrzeugbau, selbst der neue Chef von Car.Software.Org, Dirk Hilgenberg, ist in erster Linie Produktions-Experte. 

Dabei beruht der Erfolg wichtiger Player in der Softwarebranche vor allem darauf, wie sie die Kreativität ihrer Beschäftigten orchestrieren. Wer die gängigen Arbeits- Führungs und Kommunikationsmethoden der Coder, die auf Außenstehende manchmal fast sektiererisch wirken, nicht  im Schlaf beherrscht, wird wahrscheinlich Milliarden an Arbeitskosten verbrennen, aber keine Ergebnisse liefern. Diese Lücke in seinem Personaltableau muss VW dringend schließen. 

Deswegen also die Ausbildungs-Offensive. Mit seiner “Fakultät 73” hat Volkswagen bereits eine eigene Talentschmiede, die jetzt durch „42Wolfsburg” ergänzt wird. Die Studenten gehen keinerlei Verpflichtung ein, nach der Ausbildung bei VW zu arbeiten. Gunnar Kilian ist sich aber sicher, dass sich die in die Schule investierten Millionen auszahlen werden. “Wir glauben schon”, sagt er, “dass es hochspannend ist bei VW zu arbeiten”. Dass “42Wolfsburg” nebenbei dazu beiträgt, Talenten aus sozial schwächeren Schichten den Weg zu einem gutbezahlten Job zu ebnen, dürfte dem IG-Metaller nur recht sein.

Verschärft Corona die Gegensätze zwischen Arm und Reich?

Das Urteil von Thomas Piketty ist harsch: “Die Pandemie offenbart uns auf trostlose Art die gewaltsamen Auswirkungen der Ungleichheit”, so der französische Starökonom. “Menschen ohne regelmäßiges Einkommen müssen raus aus ihren Wohnungen und arbeiten, Obdachlose werden ausgeschlossen, kleine Firmen gehen pleite, während große Unternehmen ihre Marktanteile bekommen.” 

Die „Top Dogs“ unter den Firmen liegen in der Krise vorn

Piketty verdankt seine Popularität einer teils emotionalen Wortwahl und den beeindruckenden Mengen an Daten und Fakten, die er verarbeitet. Das heißt nicht, dass alles stimmt, was er schreibt. Treibt Corona die ökonomischen Verlierer tatsächlich endgültig ins Abseits?

In Krisen teilt sich häufig die Spreu vom Weizen, so eine immer wieder geäußerte These: Wer wirtschaftlich schlecht da steht, geht unter, erfolgreiche Individuen und Firmen überleben oder werden sogar stärker. So nahm der “Economist” Ende März über 800 Unternehmen aus den USA und Europa unter die Lupe und bewertete, wie viel Kreditausfallversicherungen für die jeweiilgen Firmen kosteten, ihre operative Rendite, die Bargeldreserve und den Verschuldungsgrad. Das Ergebnis:  Die “Top Dogs” schlugen sich in den Viruswochen zuvor sich in den meisten Fällen besser als ihre weniger potenten Wettbewerber.

DIW-Experte Grabka befürchtet keine steigende Ungleichheit

Aber gilt Gleiches oder  zumindest Ähnliches auch für die Einkommen der Bürger? Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gibt sich anders als Thomas Piketty  entspannt. “Weder die Finanzmarktkrise 2008/2009, noch die hohe Zahl neu zugewanderter Personen ab 2010 haben zu einer messbaren Verschärfung der Einkommens-Gegensätze in Deutschland geführt.” , so Grabka. Der Forscher setzt auf die Krisenabwehr der Politik. “Ich bin optimistisch, dass unsere Wirtschaft dank der Maßnahmen der Bundesregierung bald wieder Tritt fassen wird.”

Gutbezahlte Facharbeiter profitieren aktuell vom Kurzarbeitergeld, Solo-Selbständige müssen sich mit vergleichsweise bescheidenen Zuschüssen und Krediten über Wasser halten. Ist das unfair? “Im Schnitt verfügen Selbständige über deutlich höhere Nettovermögen als abhängig Beschäftigte”, gibt Grabka zu bedenken. Für den arbeits- und mittellosen Gitarrelehrer mag sich die Privatainsolvenz wegen Corona grausam anfühlen – als statistisch relevante Größe scheint sie im Zahlenuniversum des DIW-Experten (noch) nicht auf. Grabka setzt darauf, dass die Wirtschaft das dicke Minus wieder ausschwitzt.

“Bei den letzten Krisen wurden aus den Buchverlusten kein dauerhafter Verlust. So erreichte das aggregierte (GM1) Geldvermögen in Deutschland bereits im 1. Quartal 2009 wieder das damalige Vorkrisenniveau”, argumentiert er. “Nach zwei Quartalen war das Thema wieder vorüber.” 

Wann droht uns die Inflation?

Auch der DIW-Experte hat allerdings bisher keine rechte Vorstellung davon, wie sich die Geldschwemme, mit der die EZB die Folgen der Krise eindämmen will, auswirken wird. Theoretisch müsste das Überangebot an Liquidität die Preise treiben, doch die Praxis sieht anders aus: “Alle bisherigen Anleihe-Kaufprogramme der Zentralbanken konnten die Verbraucherpreise kaum in die Höhe treiben.”  

Auf den Immobilienmärkten trieb das billige Geld in den letzten Jahren jedoch bizarre Blüten – mit schmerzhaften Folgen für Mieter, die einen immer höheren Teil ihres Einkommens fürs Wohnen aufwenden müssen. Ein Risiko für den sozialen Zusammenhalt? “Es sieht so aus, als ob wir vorerst das Ende der Immobilien-Hausse erreicht haben”, konstatiert Markus Grabka. Daran werde auch die Corona-Geldflut nichts ändern. Bleibt im Interesse der weniger Begüterten zu hoffen, dass er Recht behält – und nicht Thomas Piketty mit seinen dystopischen Visionen. 

Aller Anfang wird schwer

Eine Rückkehr zur Normalität wird es in der Autoproduktion nach dem Corona-Knockout so schnell nicht geben. Die Angst vor Neuinfektionen in den Werken und Lücken in der Lieferkette werden den Neustart bremsen

Autoproduktion in Deutschland ist vor allem ein Job für Roboter. Für manche Handgriffe ist der Mensch aber unersetzlich – beispielsweise an vielen Bändern bei der Montage des Autohimmels. Die Innenverkleidung des Dachs wird zum Teil von Hand befestigt, zwei oder sogar Werker müssen sich dafür gleichzeitig in die Karosserie zwängen. Der unmittelbare physische Kontakt zueinander ist in der Fertigung unvermeidbar, aber in Zeiten der Corona-Pandemie undenkbar.

Ganz Deutschland wartet auf die Lockerung der Corona-Beschränkungen und darauf, dass die Industrie ihre Fabriken wieder hochfahren kann. Nur wie genau ein Neustart in drei, vier oder noch mehr Wochen funktionieren kann, weiß im Moment niemand. Ein Zurück zur Normalität kann es  nicht geben, selbst wenn die Zahl der Erkankten zurückgeht. Das Virus wird uns voraussichtich noch mehrere Monate begleiten, die Sorge vor Infektionen allgegenwärtig sein.

Ein einziger Corona-Fall schickt eine gesamte Schicht nach Hause

Arbeitgeber sind gesetzlich gehalten, die Praxis im Betrieb so zu gestalten, dass die Gesundheit der Beschäftigten nicht gefährdet wird. Das heißt in letzter Konsequenz: Wer seine Mitarbeitern zu früh einen zu engen Umgang miteinander zumutet, trägt die Verantwortung für erneute Corona-Infektionen. Zudem muss sich der Hersteller selbst bei glimpflich verlaufenden Krankheiten auf teure Ausfälle in der Produktion gefasst machen. Ein einziger Corona-Fall bedeutet, dass die gesamte Schicht für zwei Wochen nach Hause geschickt wird. 

Die Unsicherheit bei den Produktionsplanern ist groß. Sollen nach dem 20. April, falls die Beschränkungen für den Kontakt im öffentlichen Raum gelockert werden und ein Produktionsstart denkbar erscheint, in den Fabriken mobile Handwaschbecken aufgestellt werden? Werden die Werker zum Tragen von Gesichtsmasken und Handschuhen verpflichtet? Sollen die Bänder Leertakte fahren, damit damit niemand niemandem zu nahe kommt? Wird es Übergabeinseln in den Hallen geben, an denen Beschäftigte Teile deponieren und abholen können, ohne sich dem Risiko eines unmittelbaren Kontakts zueinander auszusetzen? Die Experten sind überfordert, auch wenn sie zum Teil auf Erfahrungen aus China zurückgreifen können, wo die Fertigung in den meisten Autowerken schon wieder läuft. “Wir setzen auf klare Ansagen aus der Politik”, heißt es unter anderem im Umfeld von Volkswagen.

Mehrere tausend Zulieferer allein in Italien

Dazu kommt die Abhängigkeit der Hersteller von ihren Lieferanten. Tausende Zulieferer sitzen in den europäischen Hotspots der Pandemie, in Norditalien und Spanien. Solange sie nicht zur Normalität zurückkehren, können es die Autofabriken in Niederbayern, Wolfsburg oder Leipzig nicht. Daimler zählt 60.000 Zulieferer, davon allein 2000 sogenannte Tier 1- Systemlieferanten für Mercedes-Benz. Diese überwachen wiederum  ihre eigenen Lieferketten. Bei Bosch beispielsweise müssen täglich etwa 280 Fertigungswerke mit über 300 Millionen Teilen versorgt werden.  Volkswagen spricht von „mehreren tausend” Zulieferern allein in Italien. Firmen wie Brembo: Der Herstellers mit Hauptsitz in der Nähe von Bergamo beliefert in normalen Zeiten die gesamte Welt mit Bremsen für Autos und Pkw. Wer jetzt bei Brembo anruft, muss Glück haben, um einen Ansprechpartner ans Telefon zu bekommen, denn alle vier Werke in der Region wurden geschlossen und weite Teile der Verwaltung heruntergefahren. 

Krisenteams der Herstellern behalten zurzeit den Teilemarkt im Blick. Bei VW umfasst diese Task Force in normalen Zeiten 80 Menschen, aktuell wurde sie auf 100 Experten aufgestockt. Die Absicherung der Lieferkette im weltweiten Maßstab sei deutlich schwieriger als nur in China, heißt es bei VW – ein Vorgeschmack auf die Probleme bei einem Marktstart Ende April oder Mai.

Berylls: Schutz vor Pleiten durch besseren Datenaustausch

Die Unternehmensberatung Berylls warnt vor einer Pleitewelle bei Zulieferern, ähnlich wie nach der Auto-Absatzkrise 2008/2009. Zahlreiche Firmen wie Stankiewicz, Edscha oder TMD Friction mussten damals den Gang zum Insolvenzrichter antreten. Mit schuld daran, heißt es bei Berylls,  war der standardisierte Datenaustausch zwischen den verschiedenen Firmen der Auto-Lieferkette. Weil niemand moderierend bei großen Storni und fehlerhaften Marktprognosen eingriff, habe sich die Negativstimmung ähnlich wie bei einem Kurssturz an der Börse aufschaukeln können. Aktuell arbeiten die Berylls-Experten an einem System, das Überreaktionen wie vor elf Jahren verhindern soll.

Klar ist heute: Die Industrie wird sich nicht so schnell einfangen wie nach 2009. Damals half die Abwrackprämie den Autobauern wieder auf die Beine. Die ist 2020 nicht in Sicht – und würde auch nicht helfen, so lange in den Fabriken keine Autos vom Band laufen.