Archiv für den Monat: Januar 2017

VW-Untersuchungsausschuss: Beredtes Stochern im Nebel

Ein erneuter Anlauf zur Aufklärung des Dieselskandals im Bundestag. Dem VW-Untersuchungsausschuss geht es darum, zu klären, wie die Politik und wie öffentliche Behörden dem massenhaften Betrug Vorschub leisteten. Heute als erster Zeuge geladen: Der Softwareexperte Felix Domke, dem es gelang, die VW.Schummelsoftware zu dechiffrieren.

Domke könnte vieles erzählen – wenn ihn denn Auschuss-Obmann Ulrich Lange (CDU/CSU) ließe. Aber Lange bremst Domke ein, als dieser über Abgastests an Opel-Fahrzeugen im Auftrag des KBA berichten will.  Der Software-Entwickler solle sich doch bitte an den Untersuchungszeitraum halten. Alles, was nach dem 7. Juli 2016 passiert sei, habe außen vor zu bleiben.

Hinter Domke sitzen Vertreter des Bundesverkehrs- des Justiz- und des Wirtschaftsministeriums. Die Vertreter des Exekutive müssen ein großes Interesse daran haben, die Arbeit des Ausschusses mitzuverfolgen – geht es ja auch darum, wie eng die Autoindustrie mit den Behörden zusammenarbeitet, ob die Verwaltung eine Aufdeckung von Abgasschummeleien tatsächlich vorantreibt oder nicht.  Schon wenige Minuten nach Beginn der Sitzung werden die Presse und die Besucher ausgeschlossen.

Eine halbe Stunde später geht’s dann doch in aller Öffentlichkeit weiter. Felix Domke schildert, wie groß der Aufwand war, im vergangenen Jahr problematische Software beim Opel Zafira nachzuweisen. Er fordert, dass die Hersteller die entscheidenden Algoritmen ihrer Motorsteuerung offenlegen. Heute noch sei die Software relativ simpel gegen das Auslesen geschützt. Würden hier die Autohersteller nachrüsten, würden künftige unabhängige Untersuchungen der Abgassteuerung schwierig bis unmöglich.

Zur Sprache kommt auch die Informationspolitik von Opel: Der Hersteller habe im Zusammenhang mit dem Zafira Nebelkerzen geworfen, um ihn zu diskreditieren, berichtet Domke – ein häufiges Vorgehen der Autohersteller, die sich gegen Schummelvorwürfe wehren müssen und die Thematik als überaus komplex darstellen. So komplex, dass unabhängige Experten es angeblich nie schaffen würden, wirklich durchzusteigen.

Der frühere Tüv-Nord-Chef nimmt seine Prüfer in Schutz

Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses fragen mal hier, mal da. Sie verlieren sich in technischen Details, die eigentliche Fragestellung gerät dabei aus dem Blickfeld: Was wusste die Bundesregierung? Und wie hat sie durch Stillschweigen oder gar aktives Handeln geholfen, dass Autohersteller auf Kosten der Umwelt schummelten?

Nach ungefähr einer Stunde ist Domkes Befragung vorbei, der nächste Zeuge ist Guido Rettig, der frühere Chef des Tüv Nord. Rettig wird gefragt, ob die Prüfer die Autohersteller möglicherweise darauf hingewiesen haben, welche Spielräume sie bei der Abgassteuerung hatten, wenn sie es nur schlau genug anstellten. Er antwortet ausweichend: Gravierende Abweichungen seien natürlich nie toleriert worden. Zu einem anderen Thema – einem Treffen mit Michael Odenwald. Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium auf dem Höhepunkt der Dieselaffäre sagt Rettig nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus.

Später – die Medienleute dürfen wieder zuhören – berichtet er über die Schwierigkeiten, die die Arbeit des Tüv erschwert hätten: Kein direkter Zugriff auf die Software im Auto, kein Mandat zur „Felduntersuchung“, also der nachträglichen Prüfung zugelassener Autos, ob sie im Alltag ihre Grenzwerte einhielten. „Software ist kein Thema bei der Typprüfung.“ So weit, so bekannt. „Wir arbeiten nach Regelwerken“, sagt Rettig, will heißen: Es war und ist nicht vorgesehen, dass der Tüv Autos über das hinaus, was in der Hauptuntersuchung passiert, tatsächlich effektiv testet. Rettigs lapidare Antwort auf die Frage des Ausschussvorsitzenden Herbert Behrens, ob der Tüv aufgrund der Aufträge, die er aus der Industrie annimmt, von den Herstellern abhängig sei: „Abhängig ist man als Unternehmen immer.“

Wichtige Fragen werden nicht gestellt

Am Nachmittag tritt Klaus Pietsch auf, der im Kraftfahrt-Bundesamt für die Typgenehmigungen zuständig ist. Die Fragen und Antworten ziehen sich zäh hin. Nein, das KBA habe nicht überprüft, ob Hersteller Abschalteinrichtungen in die Motorsteuerungssoftware eingebaut hätten, sagt Pietsch. Nein, dazu habe es im gesetzlich geregelten Genehmigungsverfahren keine Anweisungen gegeben. Und nein, auf die Idee, eigene Rollenprüfstände aufzubauen, sei niemand im KBA gekommen. „Wir hatten keinen Grund, Unterlagen über das gesetzlich Vorgesehene hinaus von den Herstellern anzufordern.“

Zuweilen wünscht man sich, die Abgeordneten hätten vor der Sitzung ein bisschen im Internet gestöbert, um sich Infos vorab zu beschaffen, und sie hätten die Ausschussunterlagen genauer studiert, in denen mancher Mailwechsel zwischen KBA, der EU-Kommission und dem Bundesverkehrsministerium wiedergegeben wird, der durchaus Fragen aufwirft. Etwa die, warum sich das KBA gegenüber der EU-Kommission so zugeknöpft gab, als diese 2016 um Aufschluss über Abgastests in Deutschland bat. Anstelle dessen fragt beispielsweise Arno Klare (SPD), was ein Vorserienfahrzeug ist und ob deutsche Hersteller tatsächlich überall in der EU Typgenehmigungen beantragen können. Nüchtern führt Pietsch Details zu Verfahrensfragen aus, kommentiert, wie seine Behörde vor und nach Bekanntwerden des Dieselskandals mit der Autoindustrie umgegangen ist. Sind Pkw sauber oder nicht? Alles eine Frage von Anordnungen, Nebenbestimmungen, Konformitäten. Überall tun sich Lücken in Gesetzen auf, sehr schnell fühlt sich Klaus Pietsch „außerhalb seines Zuständigkeitsbereiches“ – wahrscheinlich sogar zurecht. Nur schade, dass die wirklich Verantwortlichen hier nicht als Zeugen auftreten.

Nach Pietsch kommt dessen Chef Eckhard Zinke dran, der durch eine interne Mail bekannt geworden ist, die er mit „industriefreundlichem Gruß“ abschloss. Alles nicht so gemeint, beteuert er jetzt: Sein Team und er selbst arbeiteten streng objektiv, hochmotiviert, überaus kompetent und unvoreingenommen. Zinke ist offensichtlich nicht glücklich über die Kritik, die seine Behörde im Zuge des Abgasskandals einstecken musste. Vielleicht liegt’s ja auch an der nahezu komplett fehlenden Öffentlichkeitsarbeit des KBA, dass ihn die Medien nicht so wirklich lieben?

Alles ist so kompliziert, nichts Genaues weiß man nicht

Hätte sich beim KBA angesichts der Abgaswerte auf den Rollenprüfständen und im realen Fahrbetrieb nicht der Verdacht aufdrängen müssen, dass hier etwas nicht stimmt? Diese Frage kommt von Ulrich Lange (CSU). Zinke schwurbelt herum, und nein, es habe keinerlei Hinweis auf den Versuch einer Täuschung gegeben. Lange insistiert: Das Umweltbundesamt habe doch immer wieder festgestellt, dass die offiziellen Schadstoffwerte wenig mit der Realität zu tun gehabt hätten? Trotzdem kein Grund nachzufassen, wenigstens für Zinke.

Später bittet er um Verständnis dafür, dass er wegen des aktuellen Vertragsverletzungsverfahrens der EU und „angesichts der Tatbestandsweite und -Tiefe“ nicht auspacken will. Die EU moniert, Deutschland habe zu wenig gegen Schummeleien der Autohersteller getan – das richtet sich indirekt auch gegen Zinke, dass er zu diesem Punkt lieber schweigt, wie auch zu vielen anderen Punkten: „Ich habe keine Fakten zu vermelden.“ Das hören die Abgeordneten vom Chef der größten Typgenehmigungsbehörde Europas mehrfach, dazu Sätze wie „Die technischen Vorschriften  werden dort angewandt, wo der Sachverhalt sich abspielt.“ Aha. Viel reden, nichts sagen, kein übermäßiges Selbstbewusstsein erkennen lassen – unfreiwillig gab Zinke dann doch Auskunft darüber, wie es sein konnte, dass sich praktisch unter den Augen der deutschen Aufseher Autohersteller um wichtige Umweltvorschriften herumschummeln.

 

Porsche gründet mini-Thinktank in Berlin

Die Zukunft liegt gleich hinterm Horizont, aber der ist ziemlich weit entfernt. 30 Prozent seiner Erlöse will Porsche innerhalb der nächsten fünf bis sieben Jahren mit digitalen Diensten erwirtschaften – das ist zwar weniger als die 50 Prozent, die Audi-Chef Rupert Stadler schon bis 2020 schaffen will, aber trotzdem ein anspruchsvolles Ziel. Stand heute generiert Porsche Profit schließlich praktisch ausschließlich mit dem Verkauf von Autos. Jetzt will der Hersteller weiter in die digitale Welt vorstoßen.

Freie Forschung, aber die Hälfte der Arbeit muss konkreten Nutzen bringen

In Berlin eröffnete Porsche im vergangenen August ein Digital Lab, ungefähr 300 Meter vom Digilab der Konzernmutter Volkswagen entfernt, im schicken urbanen Friedrichshain. Jetzt stellte der Hersteller seinen Thinktank der Öffentlichkeit vor. An der Spree arbeitet  ein Team von Informatikern und Mathematikern an digitalen Antworten auf Fragen,  die in der Produktion, im Vertrieb oder der Nutzung von Autos entstehen. Rund die Hälfte ihrer Ressourcen sollen die Tüftler auf konkrete Probleme verwenden, die aus Stuttgart, Weissach oder Leipzig gemeldet werden. Den Rest ihrer Zeit verwenden sie auf die Forschung, können also ihrer Kreativität freien Lauf lassen.

Mit aktuell 16 Spezialisten ist das Team überschaubar, allerdings will Porsche auch auf anderen Wegen seine digitale Kompetenz stärken. Über zwei Fonds beteiligt sich der Autobauer an digitalen Startups, ein eigener Fonds ist in Planung.

Porsche-Finanzstratege Oliver Döring pflegt über den Wagniskapitalgeber e.ventures den Kontakt in die Gründerszene. “Wir wollen von den Startups lernen”, sagt er – und wenn sich die eine oder andere günstige Gelegenheit zum Kauf eines Startups ergibt, das in das Geschäftsmodell von Porsche passt, will er zugreifen. Auch über das SpinLab der Leipziger Handelshochschule sucht Porsche nach internationalen Talenten, die die eigene Mannschaft inspirieren. Ein Gründerwettbewerb soll Blockchain-Ansätze von der Finanzindustrie in die automobile Welt übertragen. Wenn Bitcoins über ein dezentrales Zahlungssystem sicher abgewickelt werden können – warum dann eigentlich nicht auch die Finanzströme der Lieferkette, fragt Sven Lorenz, IT-Chef von Porsche.

Lorenz spürt zwar den Spardruck aus Wolfsburg, will sich aber trotzdem nicht beklagen. “Unser IT-Budget hat sich zwischen 2010 und 2016 verdoppelt”, sagt er. Absolute Zahlen nennt er nicht, verweist aber auf den Branchenschnitt, demnach Porsche zwischen 215 und 430 Millionen Euro pro Jahr für IT ausgibt. Im letzten Jahre habe er seine Mannschaft um 25 Prozent aufgestockt, sagt er. “Wir werden auch kurzfristig in dieser Geschwindigkeit weiter wachsen.”

Autoland

Dieselgate, ein Ausrutscher? Über das Beziehungsgeflecht zwischen Pkw-Industrie und Politik

Das Schreiben des Deutsche Caravaning-Verbandes CIVD an Ekhard Zinke, den Präsidenten des Kraftfahrt-Bundesamts KBA, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. “Die aktuelle Situation ist untragbar”, heißt es in einem Fax vom vergangenen Jahr. Nachdem das KBA die Anforderungen an Typgenehmigungen für Wohmobile auf Basis des Fiat Ducato verschärft habe, seien die deutschen Hersteller in der Existenz bedroht. Denn der Verkauf von über 11 000 Fahrzeuge, die allein 2016 noch gebaut würden, sei gefährdet. Der Verband fordert eine ihm genehme Antwort innerhalb von fünf Tagen, andernfalls drohten juristische Schritte.

Im Kraftfahrt-Bundesamt sind sie solche harschen Töne eigentlich nicht gewohnt. Die 900-Mitarbeiter-Behörde im Flensburger Stadtteil Mürwik freut sich über das maritiime Flair der Region und den Blick auf die Förde. Die Beschäftigten haben große Spielräume bei der flexiblen Gestaltung ihrer Arbeitszeit, im täglichen Mailverkehr ist der Ton verbindlich-kumpelhaft. Jetzt aber reagiert ein leitender Staatsdiener gereizt: “Das Schreiben des CIVD wundert mich hier schon”, rügt er in einer Mail an seine Kollegen. Habe er nicht bereits festgestellt, dass dem Ansinnen des Industrieverbandes nachzukommen sei?

Der Fiat Ducato ist zuvor durch exorbitante Stickoxid-Werte aufgefallen, der Verdacht auf den Einsatz von Schummelsoftware drängte sich auf. Doch das Auto hat seine Zulassung in Italien bekommen, und die Regierung in Rom sieht keine Veranlassung, tätig zu werden. Deswegen wagen auch die Staatsdienern in Flensburg  nach dem Fax nicht, die Zulassung der Dreckschleudern in Deutschland zu verweigern. Nach einer “Lagebesprechung” wird festgehalten, das KBA habe zu einem “rechtmäßigen Verfahren” zurückzukehren – sprich: die Genehmigungen zu erteilen. „Unsere direkte Durchsetzungsmacht ist sehr limitiert, um nicht zu sagen, nicht existent“, wird eine Sprecherin der EU-Kommission die Untätigkeit der europäischen Behörden ein paar Monate später erklären.

Deutschland, Januar 2017: Dieselgate ist seit einem Jahr bekannt, aber hat sich wirklich etwas geändert? Gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn läuft ein Ermittlungsverfahren, in den USA sitzt der erste Manager des Konzerns in Haft. Neu ausgelieferte Autos des VW-Konzerns fahren ohne Defeat Device. Auch gegen Fiat Chrysler ermittelt die US-Umweltbehörde EPA. Aber bei uns funktionieren die altbewährten Reflexe im Umgang zwischen Autoindustrie, Politik und Verwaltung funktionieren: Drohen, mauscheln, wegschauen und wennötig vertuschen.

Autofahren, das ist weit mehr als eine Möglichkeit, um  von A nach B zu kommen. Über ihre Autos definieren Nationen Lebensstandard, Nationalstolz und Lifestyle. Zwischen Parteien, Konzernen und Gewerkschaften werden Seilschaften geknüpft und Strategien entworfen. Wer ein Industrieland regiert, kann sich nicht gegen die Autobauer stellen. Und immer haben technologische Fragen der Mobilität eine politische Dimension.

Diesel – ein Kraftstoff und ein politsches Programm

Eine besonders wechselvolle Karriere erlebt der Diesel, jener Treibstoff, der jetzt VW zu einem gigantischen Sparprogramm und dem Abbau von mindestens 30 000 Arbeitsplätzen zwingt. Der Potsdamer Historiker Christopher Neumaier hat untersucht, wie es kam, dass der Diesel in Europa so stark wurde, während er in den USA ein Nischendasein führt. Eine wirklich logische Erklärung fand er nicht. Die öffentliche Diskussion über die Treibstoffe folgte Moden, Zufällen und politischem Kalkül. Der Boom des Treibstoffs in Europa gründete auf eine Koalition von Regierenden und Industriemanagern, die  im Rückblick befremdlich wirkt, zum Teil auch kurios.

Der US-Autor John Irving lässt eine seine Hauptfiguren in seinem Roman “Hotel New Hampshire” nach dem Krieg die diesellastige Luft des alten Kontinents schnuppern. Für Amerikaner damals ein befremdliches Erlebnis, denn war Diesel nicht der angemessene Treibstoff für Lkw und Traktoren? Nicht besonders spritzig, mit dunklen Abgasen und Startproblemen bei niedrigen Temperaturen –  der Marktanteil von Dieselantrieben bei Pkw beibt auch in Deutschland bis Anfang der 1970er Jahre unter 10 Prozent.

Helmut Schmidt, 1976. Von Bundesarchiv, B 145 Bild-F048646-0033 / Wegmann, Ludwig

Allerdings macht die zunehmende Luftverschmutzung vor allem den Städten zu schaffen, der Ruf nach sparsameren Motoren wird laut.  Die Ölkrise 1973 ändert schließlich alles: Nach dem Yom-Kippur-Krieg verhängte die Organisation erdölexportierender Länder Opec einen Lieferstopp gegen ihre wichtigsten westlichen Abnehmerländer.  Bundeskanzler Helmut Schmidt verhängt an vier Sonntagen Fahrverbote, die Autonation findet sich spazierengehend auf ihren Schnellstraßen wieder. Ein Schock. Der Fortschrittsglaube der 50er und 60er Jahre ist gebrochen.  Verzicht auf individuelle Mobilität will kein Politiker fordern. Was jetzt?

Die Arbeitslosigkeit steigt in den 70ern erstmals seit dem Krieg spürbar. Allein deswegen verbietet es sich für sozialliberale Regierung, die Autoindustrie einzubremsen. Zum Glück gibt es neue, sparsame Dieselmodelle.  Die Mär vom Diesel als “vernünftigem” Kraftstoff übersteht etliche Experten-Berechnungen, in denen nachgewiesen wird, dass der höhere Kaufpreis der Fahrzeuge nur durch überdurchschnittliche Laufleistungen hereingeholt werden kann, dass also viele Diesel-Käufer draufzahlen. Der Diesel sei eine “krisensichere Geldanlage, immun gegen die Drohgebärden Ölscheichs, ausgleichend gegen den Druck der staatlichen Steuerschraube und geschont bei den Preiserhöhungen der Ölkonzerne” heißt es 1981 in der deutschen “Auto Motor und Sport”.

In den Vereinigten Staaten gilt der sparsame Umgang mit Energie auf einmal als Ausdruck von Patriotismus. “Es gibt nur einen Weg, die Araber in dem Ölkrieg, den sie uns erklärt haben,  zu schlagen”, schreibt die Autozeitschrift “Car and Driver”. “Wir müssen sie mit Energieeffizienz bekämpfen. Lass sie ihr schleimiges schwarzes Zeug behalten.” Und die Dieseltechnologie ist in den Augen der Motorjournalisten ein Weg, den Verbrauch zu drücken. “Dieselmotoren sind ein wichtiger Bestandteil unserer Energiepolitik”, verkünden 1980 die Berater des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter.

Jimmy Carter, 1978

Aber alle – Politiker, Industriebosse, Beamte – wissen, dass das nicht reicht, dass unregulierter Verbrauch nicht mit dem Anspruch der Unabhängigkeit und dem Umweltschutz zu vereinbaren ist.

Zwischen den Konzerne und der Politik beginnt das Zocken um Grenzwerte. Deutsche Autobauer zahlen in den USA regelmäßig Bußen für die Überschreitung von Flottenverbräuchen. Mal sind es ein paar Hunderttausend Dollar pro Jahr, mal auch zweistellige Millionenbeträge dafür, dass die Autos im Schnitt mehr schlucken, als die US-Bundesbehörde für Straßen- und Fahrzeugsicherheit NHTSA den Herstellern zubilligt. Europäische Hersteller werden stärker zur Kasse gebeten als amerikanische, vor allem, weil sie relativ hoch motorisierte Pkw in die USA verkaufen, und auch deswegen, weil für die in den USA beliebten Pick Ups andere Grenzwerte gelten als für andere Pkw.

Was scheren die Hersteller schon Bußgelder

Die europäischen Hersteller scheinen die Bußgelder nicht sonderlich zu beeindrucken – vermutlich deswegen, weil es die Öffentlichkeit in den USA anders als in Europa nicht wirklich interessiert, wer wie viel an die Behörden überweisen muss. Und ein paar Millionen Dollar spielen bei den Umsätzen, die der US-Markt ermöglicht, keine wirklich große Rolle.

Diffiziler ist die Sache mit den Stickoxiden und Partikeln. In den Vereinigten Staaten tauchen frühzeitig Untersuchungen über die krebserregende Wirkung der Diesel-Abgase auf. General Motors und andere Hersteller erreichen mit Interventionen bei der Regierung zwar für einige Jahre, das Dieselmotoren trotzdem mehr Stickoxide ausstoßen dürfen, als vorsichtige Experten empfehlen. Doch die krebserregende Wirkung von Partikeln aus Dieselmotoren wird lang und breit in den Medien diskutiert. Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Gesundheit der Bürger zu riskieren, senkt die  Umweltbehörde EPA (anders als die europäischen Umweltbehörden) die Grenzwerke schließlich doch.

Eine technische Herausforderung für die Entwickler von Motoren, aber keine unüberwindbare Hürde. Wer niedrige Emissionen will, muss ein wenig mehr technischen Aufwand treiben. Ein wirklich gravierendes Problem ist das eigentlich nur für Volkswagen, das seine Kosten nicht im Griff hat.

Volkswagen, das ist die Firma gewordene Nachkriegsrepublik. Eine dunkle Vergangenheit als  industrieller Vorzeigebetrieb Nazideutschlands. Hitlers “Volksauto”, für das das VW-Stammwerk gegründet wurde, versprach individuelle Mobilität für den kleinen Mann, doch gebaut wurden dort vor allem “Kübelwagen” für den Krieg. Nach 1945 der Neustart mit Gewerkschaftsvermögen und dem festen Vorsatz, jetzt alles besser zu machen. Dafür stehen die Sperrminorität des Landes Niedersachsen und die Mitspracherechte des Betriebsrates.

Die Politik und die IG Metall entscheiden über Standorte und Manager-Karrieren. Ferdinand Piech hätte VW nicht über Jahrzehnte steuern können, hätten ihn nicht 1993 der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder und IG-Metall-Chef Franz Steinkühler nach Wolfsburg geholt. Wer es im Konzern zu etwas bringen will, sollte sich mit der Gewerkschaft gut stellen, am besten noch Mitglied werden.

In Wolfsburg und bei den VW-Töchtern Audi und Porsche zählt Politik manchmal mehr als Ingenieurwissen. Man könnte auch sagen: Es wird zuweilen von oben nach unten durchregiert. Und wenn sich die Wirklichkeit nicht ins Bild der Entscheider fügt, wird sie eben zurechtgebogen.

Dafür wiederum brauchen die Bosse den Einfallsreichtum ihrer Techniker. Die tüfteln Ende der 90er bei Audi an der Optimierung des Diesel-Motorengeräuschs bei niedrigen Drehzahlen. Das akustische Make Up funktioniert, führt aber zu höheren Stickoxid-Werten. Deswegen programmieren die Techniker die Software so, dass sie erkennt, wenn das Auto auf dem Prüfstand steht und in den anfänglichen Modus zurückschaltet.

Der Sündenfall. Niemand scheint wegen der offenkundigen Rechtswidrigkeit des Defeat Device intern  Alarm zu schlagen oder einen Hinweis an die Aufsichtsbehörden zu geben. 20 Jahre später wird Konzernchef Matthias Müller auf der Automesse in Detroit, umringt von Reportern, fahrig und unfreiwillig ehrlich Auskunft geben: “Nein, wir haben nicht gelogen.” Was er nicht sagt: VW hat nur getan, was im Unternehmens  jahrelang als normal galt.

Auch andere deutschen Hersteller wenden Tricks an, um auf dem Papier zu günstigen Emissionswerten zu kommen. Jeder Autofahrer weiß, dass der Verbrauch seines Pkw höher ist als im Prospekt beschrieben. Das Kraftfahrt-Bundesamt, zuständig für die Typgenehmigungen neuer Autos, ist ständig in engem Kontakt mit den Herstellern. Die Behörde hat nicht die Mittel und bis zur Aufdeckung des Dieselskandals auch nicht den politischen Auftrag, Autos effektiv zu überprüfen. Und schon gar nicht fühlen sich die Staatsdiener der Öffentlichkeit verpflichtet. Presseanfragen an das Amt werden nicht beantwortet, telefonische Kontaktaufnahmen barsch abgewimmelt. Erstreiten die Aktivisten von der Deutschen Umwelthilfe DUH die Herausgabe von Papieren, um Herstellerangaben zu überprüfen, bekommen sie seitenweise geschwärzte Dokumente. Die Begründung: Es gehe um Geschäftsgeheimnisse der Industrie. Hersteller, die trotz der industriefreundlichen Haltung des KBA Schwierigkeiten fürchten, reichen neue Modelle in Luxemburg oder Malta zur Zulassung ein. Dort sollen die Prüfer besonders nachlässig arbeiten.

Kein Ingenieur wird etwas ohne die Industrie

Von der Industrie unabhängige Experten sind rar. Womöglich liegt’s an der Ausbildung: Wer beispielsweise wissen will, wo die automobile Elite in Deutschland ihr Handwerk erlernt hat, sollte nach Aachen fahren. Dort, an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule, werden Generationen von Führungskräften der Autoindustrie ausgebildet. Ein Entwicklungsinstitut im Dunstkreis der Uni nimmt Aufträge der Autoindustrie entgegen, den Hochschulrat führt Daimler-Aufsichtsrat Bernd Bohr. Auch der Kontakt der Hersteller zu anderen Universitäten ist gut. Über die ganze Republik hinweg unterhalten sie Stiftungslehrstühle. Kaum einer von den Wissenschaftlern, die dort arbeiten, dürfte die Industrie in grundsätzlichen Fragen angreifen.

Auch Prüfinstitute, die auf dem Papier unabhängig sind, wagen es nicht, gegen die Hersteller aufzumucken. Die DUH sucht wiederholt nach deutschen Laboren, die Pkw-Abgasemissionen analysieren sollen, findet aber keines und weicht schließlich auf zwei Auftragnehmer in der Schweiz beziehungsweise Tschechien aus. “Die Einrichtungen haben Angst, keine Aufträge von der Industrie mehr zu erhalten”, sagt Axel Friedrich, der für die Deutsche Umwelthilfe Straßentests durchführt. Jungen Wissenschaftlern, die für die DUH arbeiteten, sei zu verstehen gegeben worden, dass sie sich so für eine Karriere in der Autoindustrie disqualifizierten. Auch das Umweltbundesamt berichtet über Probleme, deutsche Spezialisten mit unabhängigen Auto-Tests zu beauftragen.

Der Tüv, per Definition eine Kontrollinstanz, nimmt von der Autobranche Aufträge entgegen. Beispielsweise beauftragte VW den Tüv Rheinland vor der Jahrtausendwende damit, bei 2600 Zulieferern nachzusehen, ob die Systeme auch nach der Umstellung auf das neue Datum reibunglos funktionieren würden. Auch der ADAC bekommt Geld von den Konzernen. Bleibt ein Autofahrer mit Motorschaden liegen und nimmt er die Mobilitätsgarantie seines Herstellers in Anspruch, schickt der in vielen Fällen den Pannendienst des Clubs.

Jeder profitiert von jedem. Anders als in den USA werden in Europa Erkenntnisse über die gesundheitsgefährdende Wirkung von Stickoxiden ignoriert. Immer wieder demonstrieren zwar Menschen gegen die Schadstoffbelastung, auch vor den Toren von VW. Aber Politiker wie die Paris Bürgermeiserin Anne Hidalgo, die die Kapitale ab 2020 vollständig für Dieselfahrzeuge sperren will, bleiben eine Ausnahmeerscheinung.

Bei Audi und bei Volkswagen forschen sie währenddessen weiter, wie sich das lästige Problem der Grenzwerte umgehen lässt. Aus internen Mails rekonstruiert US-Staatsanwalt Eric Schneiderman später, wie sich die Audi-Chefs über Abgaswerte austauschten. Mit dabei: der heutige VW-Konzernboss Matthias Müller, damals Leiter des Produktmanagements für Audi, Seat und Lamborghini. Irgendwann im Sommer 2006 soll Winterkorn und Müller von ihren Leuten darüber informiert worden seien, dass es Probleme mit den Abgasgrenzwerten gab. Unklar ist, wie und worüber genau sich der Informatiker Müller darüber aufklären ließ, was seine Leute austüftelten. Am Ende greifen Abschalteinrichtungen bei elf Millionen Fahrzeugen in die Motorsteuerung ein.

Per Zufall den Schmu mit dem Diesel bemerkt

Niemand merkt’s – bis Daniel Carder in seinem einfachen Labor die Abgaswerte von VW-Modellen analysiert. Carder ist Professor an der Universität von West Virginia, ein korpulenter, bodenständiger, umgänglicher Kerl. Er arbeitet im Auftrag des gemeinnützigen International Council on Clean Transportation (ICCT), die Untersuchungen führt er  zusammen mit zwei Studenten In einem kleinen Labor im Bergort Morgantown in den Appalachen durch. Viel Geld haben sie für ihre Tests nicht, gerade mal 69 000 Dollar.

Zum Beirat des ICCT gehört Axel Friedrich, früher Abteilungsleiter im Umwelt-Bundesamt. Friedrich hat sich als unbeirrbare Nervensäge und Opponent der Autoindustrie einen Namen gemacht. “Wir wollten bei den Tests eigentlich festhalten, das VW in den USA niedrigere Stickoxide schafft als in Europa”, sagt er. Das Ergebnis sollte als Argumentationshilfe für die Forderung nach sauberen Motoren auch in Europa dienen.

Doch als sich Daniel Carder und seine studentischen Assistenten an die Arbeit machen, trauen sie ihren Untersuchungsergebnissen kaum. Die Stickoxid-Werte der untersuchten VW-Motoren liegen so weit über dem gesetzlichen Limit,  dass sie nicht mehr durch Besonderheiten der Laborsituation erklärt werden können.

Michael Hausfeld, 70, ist rein äußerlich das genaue Gegenteil des bulligen und hemdsärmeligen Daniel Carder: Klein, schmal, oft mit Fliege zum Anzug. Hausfeld spricht selten laut. Das hat er nicht nötig. Hausfeld erkämpfte Entschädigungszahlungen für ehemalige NS-Zwangsarbeiter und Inuit, deren Fischgründe nach dem Exxon-Valdez-Tankerunglück verseucht waren. Jetzt knüpft er sich von seiner Kanzlei in der repräsentativen Washingtoner K-Street unweit des Weißen Hauses aus Volkswagen vor. Hausfeld will, dass alle – auch die europäischen – Kunden des Herstellers entschädigt werden. Die abwehrende Haltung des Konzerns bezeichnet er als “arrogant”. Damit steht die Forderung nach einem weiteren zweistelligen Milliardenbetrag im Raum. “Wenn dieser Anwalt sich in Europa durchsetzt”, sagt eine VW-Mitarbeiterin Anfang Januar auf der Detroiter Autoshow, “können wir einpacken”.

Die VW-Konkurrenten könnten eigentlich froh über den Sturm sein, der sich über dem Konzern entlädt. Sind sie aber nicht. Sie sind im Gegenteil äußerst nervös, weil sich Umwelt- und Verbraucherschützer daran machen, die Emissionen weiterer Pkw-Modelle zu testen.

Die Deutsche Umwelthilfe DUH wird von der Industrie immer wieder angegriffen. Unter anderem wird der Berliner Rechtsanwalt Christian Schertz im Auftrag von Daimler gegen die Umeltschützer tätig. Der Experte für Medienrecht (“Privat war gestern: Wie Medien und Internet unsere Werte zerstören”) droht: “Sollten Sie weiterhin auch nur irgendwie die Behauptung aufstellen, meine Mandantin habe Abgaswerte manipuliert, werden wir mit aller gebotener Nachhaltigkeit gegen Sie vorgehen.” Der Jurist kündigt Schadenersatzklagen an sowie “rechtliche Schritten”, sollte die DUH die Öffentlichkeit über sein schreiben informieren. Bei einer Pressekonferenz des Verbandes tauchen Juristen und Mitarbeiter von Autoherstellern auf, die die Teilnehmerlisten mit ihren Smartphones fotografieren und jedes Wort per Handy aufnehmen.

Die Hersteller wähnen die Politik und die Behörden auf ihrer Seite. Kurz nach Bekanntwerden des Dieselskandals  wendet sich Daimler-Cheflobbyist Eckart von Klaeden, der frühere Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, an Michael Odenwald, Staatssekretär im Verkehrsministerium. In einem Schreiben an die private Mailadresse Odenwalds dringt er auf höhere Grenzwerte. Der Betrug durch VW ist für die Industrie kein Grund, sich mit ihren Forderungen zurückzunehmen.

Wie soll sich Verkehrsminister Dobrindt positionieren? Der CSU-Politiker spielt auf Zeit. Parallel zum Hochschwappen der VW-Affäre beraten die EU-Parlamentarier über neue Messmethoden für Pkw-Abgase, da soll unnötiges Aufsehen vermieden werden. Zwar lässt Dobrindt das Kraftfahrt-Bundesamt nachträgliche Emissionstests durchführen, doch bleiben die Ergebnisse zunächst unter Verschluss. Das Bundesverkehrsministerium reagiert auf Presse-Anfragen, die sich auf die Untersuchung beziehen ähnlich wie das Kraftfahrt-Bundesamt, nämlich vorzugsweise gar nicht.

Im Februar winkt das EU-Parlament die neuen Messmethoden durch, mit großzügigen “Konformitätsklauseln” für die Hersteller. Die Schadstoffe in den Abgasen dürfen ab September 2017 das 2,1-fache des gesetzlich vorgeschriebenen Laborwerts erreichen. Erst Ende April informiert Dobrindt über die Stickoxid-Messungen des KBA, die hohe Abweichungen von der gesetzlichen Norm festellen.

Die EU-Kommission einbeziehen? Beim KBA halten sie nichts davon

Von den (überhöhten) CO2-Werten erfährt die Öffentlichkeit auf offiziellem Wege erst einmal nichts. Auch gegenüber der EU-Kommission gibt sich das KBA äußerst zugeknöpft.  Ende Juni geht beim Kraftfahrt-Bundesamt eine Mail von der Generaldirektion Klimaschutz beim Kraftfahrt-Bundesamt ein, die für Nervosität sorgt: Die Behörde habe doch CO2-Werte erhoben, ob man sich nicht einmal treffen und darüber sprechen könne?”

Die Kommunikation über Schmutzschleudern unter der Regie sendungsbewusster EU-Klimaschützer, das ist wahrscheinlich so ungefähr das Letzte, was die Beamten in Deutschland wollen. Ein leitender Mitarbeiter im KBA rät zu äußerster Vorsicht. “Ich denke, dass es prinzipiell schwierig sein wird, vor einer Veröffentlichung des C02-Berichts in einem solchen Gesprach der Kom (der Kommission) zu berichten”, schreibt er in einer internen Mail. “Ich wurde vorschlagen, entweder das Gespräch mit dann vier Parteien durchzuführen und ggf. nur limitierte Information an die Kom zu geben.” Das gewünschte Treffen findet vorerst nicht statt.

Dobrindt und den Herstellern kann das nur recht sein. IG Metall-Chef Jörg Hofmann übrigens auch. Der Gewerkschaftsboss antichambriert im August eigens bei der EU, um laxere Kohlendioxid-Grenzwerte für die Industrie zu fordern. Sein Vorschlag: Ein Grenzwert von 73 Gramm CO2 – aber erst ab 2030.

In Deutschland konstituiert sich im Juli der VW-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Die Abgeordneten sollen klären, wie stark der Einfluss der Industrie auf die Politik ist. In den Unterlagen, die sie bekommen, tun sich große Lücken auf. Als Begründung wird den Parlamentariern unter anderem mitgeteilt, dass die Akten “Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens, die als erheblich für den Wettbewerb innerhalb der Automobilindustrie anzusehen sind”.

Währenddessen ziehen sich die VW-Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig, die auf Weisung des niedersächsischen Justizministeriums arbeitet, hin. Die Politik auf Landes- und Bundesebene scheint Wichtigeres zu tun zu haben, als zu klären, welche Manager wann entschieden haben, Behörden und Kunden zu betrügen.

Erneute Untersuchungen der ICCT enthüllen, dass die Emissionen von Pkw-Motoren, die angeblich der besonders strengen Euro-6-Norm genügen, zum Teil über denen von Lkw liegen. Die Abgase von Lastern werden streng geprüft, die von Autos weiterhin nicht. Eigentlich wären die Messungen der Umweltschützer ein perfekter Anlass, um die Schummelei endgültig zu beenden.

Aber auf eine Konfrontation mit der Autoindustrie will sich im Januar 2017 kein regierender Politiker einlassen. Dieses Jahr wird  im Bund gewählt, 2018 in den Autoländern Bayern und Niedersachsen. Was die Automobilproduktion angeht, sind die Politiker froh, über die Zukunft sprechen zu können, die Digitalisierung und die Elektromobilität. Sogar die Grünen gehen auf die Autoindustrie zu. Daimler-Chef Dietrich Zetsche spricht auf dem Grünen-Parteitag in Münster, Partei-Vize Cem Özdemir kommt zur Bundeskonferenz von BMW in Berlin. Man kennt sich, man versucht, miteinander auszukommen.

VW betont Rolle als Arbeitgeber in den USA

Hinrich Woebcken, Chef der Volkswagen Group of America (VW, Audi, Bentley, Bugatti, Lamborghini), hat allen Grund zur Sorge. Der noch-nicht-Präsident Donald Trump droht per Twitter Autobauern, die in Mexiko produzieren, mit hohen Zölle, VW würde davon empfindlich getroffen. Woebcken stellte jetzt am Rande der Detroiter Automesse die Rolle von Volkswagen als Arbeitgeber in den USA heraus.

„Wir beschäftigen direkt 45 000 Menschen, wenn man die Händler mit einbezieht“, sagte er zu FOCUS. Inklusive der Zulieferunternehmen seien es sogar 120 000 Arbeitskräfte. Historisch gesehen sei Volkswagen in Nordamerika eine wichtige Größe, bis 2019 werde die Gruppe weitere sieben Milliarden Dollar in der Region investieren. Allein 900 Millionen Dollar entfallen auf das Werk Chattanooga, wo der neue Atlas produziert wird.

Mit ihm und der extra großen US-Version des Tiguan will Volkswagen vom lukrativen SUV-Segment profitieren. Woebcken ist zuversichtlich, dass VW in den Vereinigten Staaten doch noch auf den grünen Zweig kommt. Immerhin hätten die Verkäufe von November auf Dezember um 22 Prozent zugelegt, viele frühere Diesel-Käufer seien auf Benziner von Volkswagen umgestiegen. Aufs Jahr gesehen hat VW in den USA allerdings immer noch ein Minus von über sieben Prozent zu verzeichnen.

Volkswagen und sein Buzz

Frei sein, die Natur erleben, mit Freunden einen Ausflug im VW-Bus unternehmen, abfeiern. Der Volkswagen-Bulli oder VW T2 wirkt heute ebenso antiquiert wie liebenswert. Jetzt stellt VW sein nächstes Elektro-Modell nach dem I.D. vor, die Studie I.D. Buzz, die an Flowerpower-Zeiten anknüpft und gleichzeitig alles verwirklichen soll, was die Elektromobiltät und vernetztes Fahren versprechen. Das Auto wird vermutlich 2022 auf den Markt kommen.

Alle digitale Spielereien, die das Herz begehrt

“Buzz” steht im Englischen für Energie und Begeisterung, aber auch für “Summen” – eine Anspielung auf den Elektromotor. Das Wort wird ausgesprochen wie der frühere VW-Bus, das Design greift die Proportionen der Volkswagen-Ikone auf. Die Reichweite soll bis zu 600 Kilometer betragen, die Leistung 375 PS. VW verspricht ein “Allrad-Raumwunder mit Elektromotoren an der Vorder- und Hinterachse” und sämtliche digitale Features, die bis Anfang der 20er Jahre Standard sein sollen: Einen vollautomatisierten Fahrmodus plus Head-up-Display, das die Navigation gefühlt auf die Straße vor dem Auto projiziert und es ermöglicht, das Display im Cockpit aufzuräumen. Ein leichter Druck aufs Lenkrad soll reichen, damit dieses ins Cockpit zurückfährt und nicht weiter im Weg ist.

Die Elektromobilität bietet ja überhaupt die Gelegenheit zum großen Entrümpeln, sagt Volkswagen- Chefdesigner Thomas Bischoff. Der Radstand soll stolze 3,3 Meter betragen, die kleinen Elektromotoren eröffnen Gestaltungsspielräume fürs Wageninnere. Dort sollen sich die Reisenden künftig nach Belieben ausbreiten können – in Fahrrichtung, gegen die Fahrtrichtung, die sklavische Ausrichtung nach vorne soll ja der Vergangenheit angehören. Die digitale Rundumversorgung endet erst, wenn der Besitzer samt Familie und Freunden (bis zu acht Personen sollen Platz haben) am Abend nach der Fahrt aussteigt und die analoge Landschaft genießt.

Volkswagen ist dringend darauf angewiesen, in den USA nach Dieselgate wieder Boden gutzumachen. Mit dem “I.D” und dem “Buzz”, der jetzt in Detroit auf der Automesse vorgestellt wird, versucht der Konzern einen Neustart. Volkswagen-Vorstandschef will irgendwann wieder “im Volumenmarkt” in den USA mitspielen. Momentan beträgt der Marktanteil nur rund zwei Prozent.

Eigene Zellfertigung für Volkswagen unwahrscheinlich

Was wird nach der Elektrowende mit den Arbeitsplätzen in der Motorenfertigung? Die Schätzungen, wie viele Jobs überflüssig werden, reichen bis zu einem Fünftel. Aus Angst vor Sparprogrammen drängt die IG Metall die Politik und die Konzerne zum Einstieg in die Fertigung von Batteriezellen. Ihr Argument: Wenn Deutschland diese Komponenten, die über die Leistungsfähigkeit und Reichweite von Stromern entscheiden, Zulieferern in Asien überlässt, begibt es sich in eine gefährliche Abhängigkeit.

Volkswagen zweifelt an der Wirtschaftlichkeit

Diesen Hoffnungen versetzte VW jetzt aber einen Dämpfer – obwohl sich der Konzern gerade erst im Zusammenhang mit dem jüngsten Sparpaket dem Betriebsrat zusicherte, man werde eine Pilotanlage für die Zellfertigung bauen. Aber bei der Versuchsanlage wird es wohl bleiben. “Die Zusage, wir würden eine Zellfabrik bauen, gibt es nicht und wird es auch nicht geben”, sagte Entwicklungschef Frank Welsch am Rande der Elektronikmesse CES in Las Vegas. “Wir wissen nicht, ob eine Zellfertigung für uns wirtschaftlich darstellbar ist.”

Bisher beschränkt sich die Wertschöpfung der Autobauer bei den Energiespeichern auf das Zusammenstellen zugelieferter Zellen. Daimler versuchte sich in einer eigenen Zellfertigung, gab aber auf – die Kosten waren unverhältnismäßig, der Ertrag überschaubar.Volkmar Tanneberger, bei VW zuständig für die Elektrik- und Elektronik-Entwicklung, sagte, für eine eigene Zellfabrik mit zwei bis drei Fertigungslinien müssten die Wolfsburger in etwa eine Milliarde Euro investierten. Christian Senger, Leiter der Baureihe e-Mobility gab zu bedenken, dass die Technologie noch nicht ausgereift sei. “Im Moment konkurrieren verschiedene Zellformate miteinander”, so Senger. “Selbst die große Player im Markt können keine Antwort darauf geben, welche Formate sich durchsetzen werden. Ich sehe jedenfalls keine drei verschiedenen Zellformate nebeneinander.”

Die IG Metall hatte sich zuletzt auf einem Kongress in Bayern für die Technologie starkgemacht.­ Aber auch BMW will sich aus der Zellproduktion heraushalten. Vorstandschef Harald Krüger hält es für ökonomischen Unsinn, in einen Markt zu gehen, der zurzeit von hohen Überkapazitäten geprägt sei. Die bestehenden Fabriken in Asien seien nur zu 35 bis 40 Prozent ausgelastet, sagte er.

Virtual-Reality-Hilfe von Bosch für Sanitäter und Werkstätten

Mit einem Blick über das Innenleben eines Motorrads oder Pkw Bescheid wissen – eine Bosch-Software macht’s möglich. Auch technische Laien, beispielsweise Rettungssanitäter, können damit arbeiten.

Die Daten über die Fahrzeugteile werden auf dem Bosch-Publikationsserver täglich aktualisiert

So funktionierts: Bosch stellt die Software-Plattform CAP (common augmented reality platform) bereit, technische Redakteure des Zulieferers oder eines Autoherstellers bestücken sie mit Angaben über Fahrzeug-Einzelteile. Die Daten werden auf einem Publikationsserver gespeichert, der täglich aktualisiert wird. Von dort können die Daten auf ein Tablet oder auch auf eine Hololens-Brille von Microsoft geladen werden. Das Tablet oder die Virtual-Reality-Brille erfassen mit ihrer Kamera das Fahrzeug und rufen von der Datenbank die Details über das technische Innenleben ab. Bosch-Experte Jan Witkamp demonstrierte auf der CES in Las Vegas, wie die Software in Kombination mit der Hololens auf Gesten reagiert: Der Nutzer richtet seinen Blick auf ein bestimmtes Fahrzeugteil, führt Zeigefinger und Daumen zusammen, als wolle er eine sich schließende Kameralinse simulieren. Sofort stellt ihm die VR-Brille Zusatzinfos zum betreffenden Fahrzeugteil bereit.

So wissen beispielsweise Rettungssanitäter im Ernstfall mit einem Mausklick, welche Seitenteile eines Unfallwagens stahlverstärkt sind, also nur mit hohem Krafteinsatz durchtrennt werden können. Das soll im Ernstfall wertvolle Sekunden sparen, die ein aussichtsloser Versuch kostet, einen Verletzten aus dem Auto zu holen. Und die Einsatzkräfte erfahren, wo genau die Batterien sitzen – besonders wichtig, wenn Stromer Unfälle bauen, Fahrer aus dem demolierten Fahrzeug befreit werden müssen, tunlichst ohne dabei die Batterie kurzzuschließen.

Daimler ist der erste Kunde

Daimler ist seit zwei Monaten der erste große Kunde für die Bosch-Software. Rettungskräfte in ganz Deutschland haben sich die digitale Infos über Mercedes-Komponenten heruntergeladen. Kommt ein Erste-Hilfe-Wagen zur Unfallstelle, erkennt das Tablet im Wagen das Mercedes-Modell und versorgt den Sanitäter mit Infos über die Technik, die womöglich lebensrettend sein kann.

Bei verschiedenen weiteren Autoherstellern laufen zur Zeit außerdem Pilotprojekte für den Einsatz in der Werkstatt, berichtet Jan Witkamp. Sobald die Techniker erste Erfahrungen mit Augmented Reality gemacht hätten, seien sie regelmäßig begeistert von den Möglichkeiten der Technik.

Die schöne neue Digi-Welt von Volkswagen

Wir können Zukunft, sagen sie bei der Consumer Electronics Show in Las Vegas, und die Autobauer mischen immer selbstverständlicher mit. Sogar der eher behäbige VW-Konzern drückt aufs Gas, hat heuer seinen Stand noch einmal vergrößert, auf 600 Quadratmeter. Für die Techniker im Entwicklungszentrum von Audi und VW in Belmont unweit von Palo Alto ist die CES sowieso eine Art Hausmesse, dazu kamen einige Hundert VW-Experten aus Deutschland, die für die Schau nach Nevada reisten.

Amazons Alexa fährt im Volkswagen mit

Die digitale Zukunft der Wolfsburger ist, wie in der ganzen Branche, verspielt und immer mehr vernetzt. Mit der Integration des Amazon-Sprachdienstes Alexa wird Volkswagen das Shopping-Erlebnis ins (manchmal langweilige) Autofahren integrieren und den Zugriff aufs vernetzte Heim möglich machen: Voraussetzung ist, dass der Pkw-Besitzer auch das Amazon-Spracherkennungssystem Echo zu Hause hat, das auf die Worte „hey Alexa!“ reagiert und gesprochene Fragen oder Anweisungen entgegennimmt – bald auch vom VW aus.  “Wenn ich an einem kalten Tag nach Hause fahre, will ich per Sprachsteuerung meine Heizung einschalten können”, sagt Amazon-Manager John Sumniotales.

Eine individuelle Nutzer-ID wird den Volkswagen der Zukunft personalisieren – je nachdem, wer einsteigt, passt sich der Sitz an, stellt das Infotainment-System die Lieblingsmusik und die persönlichen Kontakte in der Telefonfunktion bereit. Die neue Individualität soll ab dem nächsten größeren Produktionsanläufe eingeführt werden. „Die Volkswagen ID ist unser Einstieg in ein vernetztes Ökosystem“, sagt Volkswagen-Chefentwickler Volkmar Tanneberger. Nach und nach will er immer mehr Dienste fremder Anbieter in die Elektronik eines Volkswagens integriert werden.

Richtig futuristisch wird’s im Cockpit-Konzept, das VW auf der Messe vorstellt. Den Pkw-Fahrer empfängt ein 3-D-Cockpit, das per Eyetracking die Blickrichtung des Nutzers erkennt und es ihm sozusagen per Augenaufschlag ermöglicht, bestimmte Funktionen zu aktivieren. Zwei Projektionsebenen im Head-up-Display ermöglichen die (ziemlich realistische) Illusion von Pfeilen, die direkt auf der Straße vor dem Auto verlaufen, den Weg weisen und vor Gefahren warnen. Die Gestensteuerung kennen Käufer neuer VW-Modelle heute schon, die realitätsnahe Navigation soll im VW ID, der dieses Jahr als Studie vorgestellt wurde, verwirklicht werden.

Brauchen künftige Generationen noch einen Führerschein?

Glaubt man Stefan Ortmann, Bei Volkswagen zuständig für die Entwicklung der Cockpit-Elektronik, dauert es nicht mehr lange, bis Roboter-Autos im täglichen Straßenverkehr fahren. “Mein Sohn ist neun, dem sage ich immer, dass er keinen Führerschein zu machen braucht.” Als erstes werde sich die Technik in China durchsetzen, und zwar innerhalb der nächsten zehn Jahre, sagt Ortmann. Europa und die USA würden wohl länger brauchen,

Bleibt die Frage, was der Kunde für all die aufwendige Sensortechnik und Rechenleistung im Auto ausgeben wollen. Kommt drauf an, lautet die Antwort bei Volkswagen. Taxiunternehmen und Lieferdienste hätten ein großes Interesse an autonom fahrenden Autos. “Das wäre ein großer ökonomischer Vorteil”, sagt Ortmann. “Sie könnten die Pkw 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche fahren lassen.” Und das alles ohne die Personalkosten für Fahrer.

Heute noch Ruhe, morgen Sturm

Wer bitte ist Christian Senger? Nicht einmal viele Auto-Insider kennen den Namen, aber das dürfte sich in den nächsten Jahren ändern. Der gebürtige Oberbayer ist bei VW in Wolfsburg für Elektromotoren zuständig. Heute noch ein Nischenantrieb, aber schon 2025 aber eine tragende Säule des Herstellers, sagt Senger. 30 Pkw-Modelle der VW-Konzernmarken werden dann mit einem E-Antrieb fahren.  Und natürlich gibt es längst eine sperrige Abkürzung für den Bausatz, aus dem sich die Entwickler der einzelnen Konzerntöchter bedienen können: MEB, „Modularer Elektrifizierungs-Baukasten.“

Mit dem Elektromotor ist es so eine Sache: Der Verbrenner konnte PS-Enthusiasten mit Motorengedröhn überzeugen, beim batteriegetriebenen Auto schwingt immer noch Verzicht mit, jedenfalls für Menschen, die noch nicht dringesessen sind. Wirklich viel PS brachten bisherige Elektrofahrzeuge, die vor allem für den Einsatz im Flottenbetrieb von Firmen gekauft wurden, nicht auf die Straße. Selbst beim BMW-Hybrid i8 leistet der Elektromotor nur 131 PS. Jetzt steuern die Hersteller aber um: Porsches Zukunftsprojekt etwa, der Mission E,   soll mehr als 600 PS bieten. Selbst in den USA, dem Land der allgegenwärtigen Geschwindigkeitsbegrenzungen, legen Autokäufer bei Stromern mittlerweile Wert auf leistungsstarke Motoren, sagt Frank Welsch, Entwicklungsvorstand von Volkswagen auf der CES in Las Vegas. Was zählt, ist der Ampelstart: Wer kommt wie weit innerhalb der ersten fünf Sekunden?

Für die Autohersteller heißt das: Sie müssen auch bei E-Motoren nach Wegen suchen, um sich voneinander abzugrenzen. Ein Job für Christian Senger, der die Volkswagen-Strategie erläutert: „Wir übertragen das Golf-Prinzip auf den elektrischen Antrieb.“ Menschen, die nur ein durchschnittliches Budget für den Autokauf aufbringen können, will Senger Stromer mit Einsteiger-Antrieb anbieten – mit der Option, das gleiche Auto ein paar Jahre später mit einem deutlich stärkeren Motor nachzukaufen. Hat beim Golf mit Verbrennungsmotor prima funktioniert, müsste auch beim Stromer klappen. Wobei Geringverdiener auch am günstigsten E-Golf wohl nie Freude haben werden, bei Preisen ab 36 000 Euro.