Archiv für den Monat: Februar 2017

Die EU war frühzeitig über hohe Emissionen informiert

Sage noch jemand, in der EU hätten nicht viele Entscheider gewusst, dass die Stickoxid-Emissionen vieler Autos weit über den offiziellen Herstellerangaben und den gesetzlichen Grenzwerten lagen. Alois Krasenbrink, Referatsleiter für nachhaltigen Transport am Joint Research Center der EU, zählte heute im Dieselgate-Untersuchungsausschuss Pkw-Modelle auf, bei denen schon zwischen 2007 und 2010 im realen Fahrbetrieb überhöhte NOX-Werte aufgefallen seien. Techniker, die im Auftrag der EU testeten, hielten horrende Emissionen beim Fiat Scudo, einem Fiat Bravo, einem VW Multivan, einem VW Golf, dem Renault Clio und einem BMW 120d fest. Die Autos waren mit einem sogenannten Portablen Emissions Messgerät geprüft worden – eine Methode, die sich zuvor bei Lkw bewährt hatte.

Krasenbrink stellte sich die Frage, wie die offiziellen (niedrigen) Emissionswerte zustandegekommen waren, nachdem die Testwerte im Labor zufriedenstellen gewesen waren. Er diskutierte dies mit Abgeordneten und Entscheidern der Kommission, das Ergebnis: Es sei, so Krasenbrink, deutlich geworden,  dass die EU-Komissionen die umstrittene Verordnung 715 zu den Typgenehmigungen für Pkw  aufgrund der Labor-Testwerte für ausreichend hielt.

Der EU-Referatsleiter machte sich allerdings daran, ein verbessertes Testverfahren auszuarbeiten – eine diffizile Aufgabe. Anders als Lkw fahren Pkw dynamischer, beschleunigen mehr und sind prozentual weniger auf Autobahnen unterwegs. Erst 2016 wurde ein Testverfahren vorgestellt. „In fünf Jahren fertig zu werden, da waren wir ganz schön fix.“

Fünf Jahre wurde also toleriert, dass Hersteller Schmutzschleudern verkauften, zum Teil wohl auch gezielt schummelten. Die EU-Kommission wollte die Industrie offensichtlich in Ruhe lassen, tolerierte das eher nichtssagende Testverfahren im Labor  de Fakto als Mittel der Standortpolitik.  Die Pkw-Industrie und der deutsche Branchenverband VDA berufen sich noch heute auf offizielle Messmethoden, wenn Kritiker wie die Deutsche Umwelthilfe DUH Testergebnisse veröffentlichen.

 

Zahnlose Untersuchungskommission

Wie eng ist der Filz zwischen Administration und Industrie? Der Dieselgate-Untersuchungsausschuss will klären, wie es zum Abgasskandal kommen konnte. Leicht ist das nicht, auch heute liefen die Abgeordneten wieder auf. Geladen war zuerst Frank Albrecht, leitender Beamter des Bundesverkehrsministeriums. Kaum beginnt die Befragung, wird Albrecht von einem Mitarbeiter des Ministeriums, der die Sitzung verfolgt zurückgepfiffen: Über die Umsetzung der EU-Abgasrichtlinien in der deutschen Behördenpraxis soll er nichts erzählen – leider, leider, denn gerade läuft ja ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegenüber Deutschland.

Auch in Bezug auf eine Reihe von Merkwürdigkeiten ist Albrechts Aussage nicht wirklich erschöpfend. Konnte VW tatsächlich, als es um den Verdacht der Manipulation von CO2-Messwerten geht, eigene Fahrer einsetzen, die bei den Nachmessungen erneut tricksten? Ein befremdlicher Vorgang – wenn es denn wirklich so war, wie es in der Presse zu lesen war. Befremdlich ist auch, dass Frank Albrecht sich ahnungslos zeigt: Die CO2-Messungen seien bis heute nicht abgeschlossen, alles sei fürchterlich kompliziert, weil es kein einheitliches EU-Untersuchungsverfahren gebe. Und die Frage, ob VW-Fahrer das Gaspedal vor Beginn der Messungen durchdrücken durften, um einen Prüfstandsmodus in Gang zu setzen – dieser Sachverhalt hat für Albrecht “rechtlich keine Relevanz”.

Grammer: Vergrault Prevent die Kundschaft?

Wenn Hastor kommt, gehen die Kunden – diese Sorge treibt zurzeit Mitarbeiter und Aktionäre des niederbayerischen Autozulieferers Grammer um. Analyst Christian Ludwig vom Bankhaus Lampe sieht schwarz für den Fall, dass die bosnische Unternehmerfamilie Hastor über ihre Zulieferfirma Prevent und die Investmentgesellschaft Cascade International bei dem Sitzehersteller ihren Einfluss erhöht.

Die Hastor-Gruppe kontrolliert indirekt  über 20 Prozent der Anteile von Grammer. “Es besteht das Risiko, dass Prevent Grammer benutzt, um Autohersteller unter Druck zu setzen“, sagt Christian Ludwig. „Damit läuft Grammer, sollte die Hastor-Gruppe einen größeren Einfluss im Unternehmen gewinnen, Gefahr, dass die Kunden sich nach einem anderen Lieferanten umsehen. So etwas passiert sicher nicht über Nacht, aber ersetzbar ist Grammer definitiv.”

Nur mit Mühe erholte sich Volkswagen im vergangenen Jahr von dem Prevent-Schock. Damals legte  der kleine Zulieferer mit einem Lieferstopp die VW-Produktion lahm, um seine Ansprüche gegenüber dem Konzern durchzusetzen.

Die Schwesterfirma von Prevent, Cascade International,  macht jetzt bei Grammer geltend, der Zulieferer leide seit Jahren an einer Erosion der Gewinnmarge, ohne dass sich das Management dagegen stemme. Deswegen will Cascade auf einer außerordentlichen Hauptversammlung den größten Teil des Grammer-Aufsichtsrates mit eigenen Leuten besetzen. Der nächste logische Schritt wäre der Austausch des Managements. Und dann?

Analyst Ludwig kann die Kritik an der Ertragskraft “nicht nachvollziehen“. Das Unternehmen habe in der Vergangenheit Probleme gehabt, räumt er ein, „aber sie sind mittlerweile auf einem guten Weg. Deswegen halten wir Grammer für fair bewertet. Das Geschäftsfeld von Grammer ist von vergleichsweise niedrigen Margen geprägt, Gewinne wie bei Continental darf man sich da nicht erträumen.”

„Im Prinzip kann einem Volkswagen Leid tun“

Felix Domke, im Hauptberuf Softwareentwickler bei Microsoft, machte sich als Entschlüssler des Defeat Device und der illegalen Abschalteinrichtung im Opel Zafira einen Namen. Der 34-Jährige trat zweimal vor dem Volkswagen-Untersuchungsausschuss auf, in dem es um das ungute Zusammenwirken von Industrie und Politik ging. Im Interview spricht er über die Lehren aus dem Dieselskandal und warnt: Beim Autonomen Fahren kann uns  kriminelle Software um die Ohren fliegen, wenn wir die Hersteller nicht zu mehr Transparenz zwingen. 

Sie haben das Defeat Device bei Volkswagen entschlüsselt sowie die Abschalteinrichtung von Opel. Welcher Hersteller kommt als nächstes? Fiat-Chrysler, der auch durch horrende Stickoxid-Werte aufgefallen ist?

Das kann ich nicht sagen. Natürlich könnte ich theoretisch die Motorsteuersoftware sämtlicher Fahrzeuge untersuchen, bei denen offensichtlich ist, dass die gesetzlichen Vorgaben nur im Labor eingehalten werden. Aber das ist jedes Mal ein erheblicher zeitlicher Kraftakt. Anhand des Verhaltens des Motors im Fahrbetrieb in Zusammenhang mit der Software muss ich die Algorithmen entschlüsseln, die beispielsweise steuern, wann sich das Adblue-System ein- und ausschaltet.

Wie umfangreich ist die Software, die die Emissionen steuert? Bei Volkswagen heißt es, nur eine zweistellige Zahl von Experten habe vom Defeat Device gewusst. Ist das realistisch?

Dass eine zweistellige Zahl von Programmierern diese Software schreibt, schon. Dass nur wenige davon wussten, nicht. Eine ganze Menge Programmierer bei Bosch und bei Volkswagen, die mit der Motorsteuerung zu tun hatten, müssen immer wieder über die entsprechenden Befehle  gestolpert sein. Es ist kaum vorstellbar, dass eine Handvoll Menschen unbemerkt illegale Codes im Programm verstecken kann. Wenn doch, hätte Volkswagen ein großes Problem mit ihrer Qualitätssicherung – schließlich könnte ein heimlicher Code bei Fehlfunktionen ja auch zu schweren Unfällen führen.

Wer hilft Ihnen bei Ihrer Arbeit? Gibt’s auch mal einen Tipp von einem Whistleblower der Autoindustrie?

Nein, leider nicht. Eher bekomme ich Hinweise aus der Chip-Tuner-Szene, die gelangen immer wieder beispielsweise an die sogenannten Funktionsrahmen, die einzelne Motorsteuergeräte und ihre Funktionen beschreiben.

Wie sieht es mit der Unterstützung durchs Kraftfahrt-Bundesamt aus?

Die haben momentan weder die Mittel noch die personelle Stärke, um sich in die Programme einzuarbeiten. Die Software-Dokumentationen, die die Autohersteller beim KBA abliefern sind sehr umfangreich. Soll sich das Amt etwa die Arbeit aufhalsen, das alles durchzusehen? Dann kämen die Beamten mit den Zulassungen nicht nach, so dass Hersteller sogar gegen sie klagen könnten. Insofern ist das KBA in einer misslichen Lage.

Eigentlich müsste ja die Autoindustrie selbst ein Interesse daran haben, illegale Machenschaften aufzklären. Aber die Unternehmen sind wohl nicht sehr hilfreich.

Wie ich gehört habe, hat Bosch nach meinem ersten Vortrag auf dem Chaos Communication Congress, in dem ich über das Defeat Device gesprochen habe, die Kriterien für die Vergabe der  internen Zugangsrechte für Quellcodes verschärft. Dabei hatte ich nie Zugriff auf den Quellcode und haben diesen auch gar nicht benötigt. Opel hat nach außen immer versucht, den Eindruck zu erwecken, dass alles äußerst kompliziert sei und externe Experten die Dieselthematik nie verstehen könnten. Mit dieser Taktik, verbunden mit den freiwilligen Nachbesserungen an der Software des Opel Zafira, kamen sie um das Eingeständnis herum, eine Abschalteinrichtung eingesetzt zu haben. Im Prinzip kann einem Volkswagen Leid tun: Der Hersteller hat bisher als einziger zugegeben, illegal gehandelt zu haben und hat den größten Schaden, während die anderen sich aus der Affäre ziehen.

Wäre es nicht sinnvoll, wenn die Behörden mehr Geld und Know-How darauf verwenden würden, die Programme der Hersteller unter die Lupe zu nehmen?

Ich glaube, das bringt nichts. Stand heute sind die Motorsteuerungsgeräte schwach gegen Zugriffe von außen abgesichert. In dem Moment, in dem sich mehr Menschen dafür interessieren, was in einem Motor vor sich geht, werden die Hersteller ihre Software einfach besser sichern, so dass sie nicht ausgelesen werden kann.  Das läuft auf ein Katz- und Maus- Spiel hinaus.

Brauchen wir also eine Beweislastumkehr, so dass ein Hersteller nachweisen muss, keine illegale Codes einzusetzen?

So weit würde ich gar nicht gehen. Es würde schon reichen, wenn die Hersteller befugten Personen unbegrenzten Einblick in ihre Software gewährleisten müssen. Das Thema, wer wann was programmiert hat, ist ja nicht nur im Zusammenhang mit Schadstoffen wichtig. Es wird beim Autonomen Fahren eine große Rolle spielen. Stellen Sie sich vor, zwei autonom fahrende Autos bauen einen Crash – dann wird das Gericht wissen wollen, welche Algorithmen tätig waren und möglicherweise eine Fehlentscheidung getroffen haben.

Die Hersteller wehren sich bisher immer mit dem Hinweis auf Geschäftsgeheimnisse gegen solche Forderungen.

Mit dem Hinweis auf Geschäftsgeheimnisse erfolgreich allen kritischen Nachfragen entkommen zu können wird leider momentan von der Gesellschaft akzeptiert. Dass es nicht möglich sein soll, entsprechende technische Untersuchungen zuzulassen, ohne einen großen wettbewerblichen Nachteil zu erleiden, ist Unsinn. Es gäbe ja die Möglichkeit, die Software nur einem sehr beschränkten Personenkreis zugänglich zu machen, möglicherweise auch in einer Form, dass sie nicht kopiert werden kann. Bei großen Softwareherstellern wie Microsoft gibt es ähnliche Prozedere: Staatliche Stellen und Universitäten können sich unter bestimmten Bedingungen auch die Quellcodes ansehen. Das funktioniert schon, ohne dass Schaden fürs Unternehmen entsteht.