Archiv für den Monat: Mai 2017

BMW: Big Data wird zu Big Business

Ein Autohersteller baut Autos, und zwar möglichst viele. Autohersteller, deren Anteil an den Neuzulassungen stagniert oder sinkt, die weniger neue Modelle auf den Markt bringen als die Konkurrenz, wirken abgehängt. So funktionierte die Autowelt bis gestern, so funktioniert sie auch heute noch zum Teil. BMW bekam diese Mechanismen in den letzten Monaten immer wieder zu spüren. Dem Management wird mangelnder Biss vorgeworfen, nachdem Mercedes BMW 2016 bei den Verkaufszahlen überholte.

Allerdings betonte der Vorstand schon 2015, es komme in Zukunft nicht mehr darauf an, Marktanteile bei den Neuzulassungen um jeden Preis zu halten. Vielleicht lässt sich ja auf anders noch viel mehr Geld verdienen?

Autos erzeugen permanent Daten, eine Fundgrube für Anbieter verschiedenster Produkte und Dienstleistungen. BMW macht jetzt einen entscheidenden Schritt, um diese Daten zu verwerten, mit „BMW CarData“. Der Hersteller versucht sich dabei an einem Paradoxon – er will neue datengestützte Services ermöglichen und seinen Kunden gleichzeitig das Gefühl vermitteln, seine Privatsphäre bleibe geschützt, er werde nicht ausspioniert. „Der Schutz der Fahrzeugdaten gehört zu unserem Verständnis von Premium beim hochvernetzten Fahrzeug. Das erwarten Kunden von uns“, so BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer. „Damit geben wir den Kunden die Möglichkeit zu entscheiden, was mit den Daten passiert.“

Künftig soll der BMW-Fahrer beispielsweise maßgeschneiderte Versicherungstarife abrufen können oder persönlich angepasste Infotainment-Angebote. Die Provisionen hierfür sind gering: pro Datenabruf verlange BMW von den externen Dienstleistern 29 Cent, begrenzt auf fünf Euro im Monat, heißt es. Gut möglich natürlich, dass diese niedrige Gebühr irgendwann einmal gegen ein einträglicheres Vergütungsmodell ausgetausch wird.

Die Fahrzeugdaten sollen verschlüsselt über die Sim-Karte des Autos an BMW-Server übertragen und von dort an Service-Anbieter weitergeleitet werden. Per Mausklick kann der Kunde entscheiden, welches Unternehmen seine Daten bekomme, welches nicht. Starten soll das Ganze ab sofort in Deutschland und nach und nach auf weitere Länder ausgeweitet werden.

„CarData“ könnte ein Baustein für neue Geschäftsmodelle von BMW werden, einen anderen kündigte das Unternehmen bereits vor kurzem an. Elmar Frickenstein, zuständig für die Entwicklung des Autonomen Fahrens, erläuterte, dass BMW als Zulieferer für andere Autokonzerne auftreten werde. Die Kosten für die Entwicklung der Sensortechnik und Software für Roboterautos dürften in die Milliarden gehen, nicht jeder Hersteller hat genügend Geld, um mit eigener Technologie in Vorleistung zu gehen. Was liegt also näher für BMW, als sich einen Teil des Aufwands von anderen Autobauern zurückzuholen.

Weltweit dürfte sich in den nächsten Jahren die Spreu vom Weizen trennen: Auf der einen Seite innovationsstarke Player, die zusammen mit ihren Zuliefereren die Technologieführerschaft übernehmen, auf der anderen Seite Unternehmen wie beispielsweise Fiat Chrysler, die möglicherweise besser beraten sind, große Anteile der Wertschöpfung von der Konkurrenz zu beziehen. Womit sich für Premiumhersteller die Frage nach dem aktuellen Ranking in der Zulassungstatistik zum Teil erübrigt – entscheidender dürfte sein, wie ein Konzern aus der gesamten Wertschöpfung rund ums Auto die größten Erträge generiert.

Muster für Multiaxialgelege aus Kohlenfaser und Glasfaser, am Beispiel eines endkonturnahen, verschnittreduzierten und kraftflussgerechten textilen Halbzeugs

Das Patchwork-Auto von Volkswagen

Forscher tüfteln in  Wolfsburg an Baumaterialien für leichte Pkw

Neue Werkstoffe im Automobilbau sind spannend, haben aber ihre Tücken. BMW hat leidvolle Erfahrungen damit gemacht: Die ultraleichte Kohlefaser-Karosserie des i3 wurde erst als zukunftsweisend gefeiert, bis die Probleme mit der Serienproduktion in Leipzig begannen. Die Aushärtezeit des Carbons ließ sich anfangs nicht in den engen industriellen Takt pressen; im Werk waren sie ganz froh darüber, dass sich die Nachfrage nach dem Elektroflitzer in Grenzen hielt. Das Carbonprojekt dürfte BMW ein paar Milliarden gekostet haben, wiederholen würden es die Münchner, beziehungsweise Quandt-Erbin Susanne Klatten, die bei der Entscheidung für das neue Material Patin stand, sicher nicht.

Die BMW-Erfahrung will sich VW sparen, steht aber auch vor der Herausforderung, leichtere Autos zu bauen, damit die Reichweite seiner künftigen E-Mobile nicht zu eng gesteckt ist. Je schwerer der Pkw, desto schneller macht der Akku schlapp – diese simple Rechnung zwingt die Wolfsburger zum Experimentieren mit neuen Materialien.

Spulengatter einer Webmaschine zur Herstellung von Hybridgeweben

Spulengatter einer Webmaschine zur Herstellung von Hybridgeweben

Was heißt „zwingt“: Jens-Jürgen Härtel, Chef der Open Hybrid LabFactory OHLF in Wolfsburg, berichtet mit ansteckendem Optimismus von den Möglichkeiten neuer Mischmaterialien. Für ihn ist OHLF ein „Ingenieurstraum, der wahr geworden ist“. Das Institut ist ein Gemeinschaftsprojekt der TU Braunschweig, der Fraunhofer Gesellschaft, von VW, verschiedenen weiteren industriellen Partnern und öffentlichen Geldgebern.  Auf 10 000 Quadratmetern forschen in unmittelbarer Nähe des Wolfsburger VW-Stammwerks  Studenten und Wissenschaftler der OHLF an neuen Materialien für den Autobau. Sie stimmen sich dabei eng mit den Verantwortlichen der Produktion von VW ab, können also halbwegs zuversichtlich sein, dass ihre Erfindungen auch in den Fabriken des Herstellers umgesetzt werden.

Mit zum Inventar gehört eine gigantische Webmaschine, die verschiedene Fasern zu Halbfabrikaten verarbeiten kann, die exakt den Stabilitäts- und Gewichtserfordernissen im fertigen Pkw entspricht. Wenn es die Statik des Autos erfordert, dass ein Dutzend Punkte im Werkstück auch unter Belastung steif bleiben, reicht es, nur an exakt diesen Punkten beispielsweise Carbon zu verweben – so die Produktionsphilosophie. Denkbar ist auch die Verarbeitung leitender Fasern, um beispielsweise die Beleuchtung des Autohimmels zu ermöglichen.

Ddie Energiebilanz des Pkw-Leichtbaus erfordert ein paar Rechenschritte. Die Materialien sollen helfen, CO2-Emissionen zu vermeiden – doch ihre Produktion ist energieintensiv. Deswegen berechnen die Experten die Kohlendioxidbilanz einzelner Werkstoffe über die gesamte Lebenszeit eines Autos hinweg. Ihr Argument: Wenn das geringere Gewicht eines Pkw über die Jahre hinweg dazu führt, dass genügend Sprit und CO2 gespart wird, ist der hohe Energieaufwand in der Herstellung vertretbar.

Volkswagen: Endlich profitabel, endlich öko

Der Hersteller wird effizienter und umweltbewusster

Der Wunsch, endlich wirklich profitabel zu werden, hat eine zähe Tradition bei Volkswagen, genauso das Unvermögen, ihn Wahrheit werden zu lassen. Markenvorstand Herbert Diess wurde von BMW geholt, um die Produktion auf Vordermann zu bringen, und mittlerweile scheint sich wirklich etwas bei VW zu tun.

Zwischen 2015 und 2020 will VW jährlich eine MIlliarde Euro pro Jahr in der Produktion einsparen, unter anderem durch Personalabbau. Bis 2025 werde sich der Hersteller beim Bau von Elektroautos, was die Geschwindigkeit angeht, an die Spitze der Branche setzen, verspricht Peter Bosch. Er ist bei VW dafür zuständig, Produktion und Logistik auf Vordermann zu bringen. Über die Anzahl der Arbeitsstunden, die VW heute für den Bau eines Autos veranschlagen muss, schweigt er sich genauso aus wie über den exakten Abstand zu den Branchenbesten in Asien. „Die Lücke ist groß. Aber es lohnt sich, anzugreifen“, ist er sich sicher. Vom Vorstand bis hinunter zum Management einzelner Lackierereien oder Montagestraßen sei das Effizienz-Programm durchgeplant, und wenn sich ein Verantwortlicher der Fitnesskur widersetze, werde sich dies auf seinen Bonus auswirken.

Sämtliche Werke müssen in einer für alle einsehbaren Dokumentation darstellen, wie genau sie ihre Effizienz steigern wollen – oder es schon geschafft haben. Das kann als interner Wettbewerb aufgefasst werden, oder auch als hilfreiches Handbuch. Will ein Werksleiter aus Deutschland verstehen, warum die Kollegen in Mexiko kostengünstiger produzieren, braucht er nur nachzulesen, wie sie sich in den vergangenen Jahren neu organisiert haben. Den deutschen Standorten fiel es wegen der höheren Löhne und der zum Teil antiquierten Strukturen bislang schwerer, im internen Wettstreit schnell gute Zahlen vorzulegen, oder, wie Bosch es diplomatisch formuliert: „In Wolfsburg haben wir ein riesen Potential.“

Eine ganze Reihe von Maßnahmen soll die Produktivität um 25 Prozent verbessern, unter anderem der Verzicht auf den teuren Bau von Prototypen vor dem Serienanlauf und Software, die es ermöglicht, dass Roboter ohne trennende Zäune mit Menschen zusammenarbeiten. Bis 2030 will Volkswagen Autofabriken organisieren, die sich selbst steuern und Fehler in der Produktion korrigieren, so dass der Mensch nicht nacharbeiten muss.

Fast die Hälfte weniger Umweltverbrauch bis 2025

Ökologisch soll das Ganze auch noch sein. Bis 2025 sollen die Umweltauswirkungen der Produktion im Vergleich mit 2010 um 45 Prozent reduziert werden. Willkommener Nebeneffekt des Programms „Think Blue. Factory“: Bisher wurden 131 Millionen Euro eingespart.

Auf dem Weg zur Blauen Fabrik helfen technische Innovationen und Beharrlichkeit. Welche Fortschritte möglich sind, zeigt beispielsweise die Wolfsburger Lackiererei für Kunststoffteile. Wo früher Unmengen Strom und Wasser verbraucht und giftige Abwässer produziert wurden, tragen heute Roboter feindosiert Lacke auf, werden Stoßdämpfer mit Kristallen aus Kohlendioxid gereinigt, das bei der industriellen Herstellung von Ammoniak angefallen ist und Lackpartikel mit Steinmehl gebunden, das anschließend als Hausmüll entsorgt oder beispielsweise für den Straßenbau verarbeitet werden kann. Die moderne Anlage spart im Jahr gegenüber früher 2.603 Tonnen CO2, 25.700 Megawattstunden Strom, 28.885 Kubikmeter Wasser, 6,9 Tonnen Staub und 95 Tonnen flüchtige organische Verbindungen.

Auch bezüglich des Umweltschutzes gibt Volkswagen seinen Werken verbindliche Einsparziele vor, was naturgemäß zu Murren im Unternehmen führt: In den Fabrikhallen des Werks Wolfsburg etwa ist die Montage im ersten Stock untergebracht. Der Grund: Der Stammsitz liegt in einem früheren Sumpfgebiet, wohl aus Sicherheitsgründen wollte niemand das schwere Gerät ebenerdig anordnen. Die Teile nach oben zu schaffen und fertige Autos nach unten verbraucht Energie ­– wie sollen da möglich sein, Kilowattstunden und CO2-Emissionen einzusparen?

Aber es hat ja auch niemand behauptet, es werde leicht, die ehrgeizigen Vorgaben umzusetzen.

BMW: Frickenstein über die Vorteile neuer Kooperationen

Bosch mit Nvidia, Daimler mit Bosch, BMW mit Here, Mobileye/Intel und jetzt auch dem Zulieferer Delphi: Bevor das Autonome Fahren wirklich Realität wird, sortiert sich die Branche neu. Allein wird kein Hersteller die komplexe Technologie meistern und up to date halten können. Jetzt muss sich zeigen, welches Partnerschaften die Nase vorne haben.

Und es muss sich zeigen, wer den Mut hat, bisherige Geschäftsmodelle aufzubrechen. BMW geht dabei ziemlich entschlossen voran. Elmar Frickenstein, der bei den Münchner für das Autonome Fahren zuständig ist, will Teile der Technik, die BMW jetzt zusammen mit seinen Partnern entwickelt, anderen Herstellern anbieten. „Wir können mit der offenen Plattform, die wir geschaffen haben, unsere Technik an andere Hersteller vertreiben“, sagte er zu „FOCUS“. „Dazu entwickeln wir einen Vorrat an Softwaretools, den andere nutzen können.“ BMW schaffe sowohl eine Blaupause für die Datenverarbeitung in den Rechenzentren der Hersteller als auch für die Technik im Fahrzeug. „In Summe stärken wir dadurch unsere Position.“

Das hieße: BMW wäre nicht mehr nur darauf angewiesen, Autos zu verkaufen – das Unternehmen könnte auch als Zulieferer für die gesamte Branche auftreten. Und es könnte sich damit den finanziellen Spielraum schaffen, um neue Geschäftsmodelle jenseits des Autobaus zu entwickeln. Denkbar sind maßgeschneiderte  Freizeitangebote und Finanzdienstleistungen entsprechend dem Bewegungs- und Konsumprofil eines Pkw-Nutzers oder Flottenlösungen für gewerblich genutze autonome Fahrzeuge.

Aber erst einmal muss das Autonome Fahren auch wirklich funktionieren. „Wir fahren heute Level 3, 4, und 5 in München“, berichtet Frickenstein, der vieles, was heute als „Autonomes Fahren“ verkauft wird, mit Skepsis betrachtet. 2021 wolle BMW Autos, die Level 3 schaffen, an den Endkunden verkaufen, also Pkw, deren Fahrer unterwegs auch mal ein Buch aufschlagen kann, aber stets bereit sein muss, bei Gefahr wieder die Kontrolle über das Fahrzeug zu übernehmen.  Noch sind dabei viele technische Fragestellungen zu lösen, räumt Frickenstein ein.

VW-Joint-Venture Cymotive wächst

Cymotive, das Gemeinschaftsunternehmen von Volkswagen mit früheren Mitarbeitern des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, will bis Mitte 2018 die Zahl seiner Mitarbeiter von heute 65 auf 130 erhöhen. Das Unternehmen mit Sitz in Wolfsburg und Herzelya kümmert sich um Fragen der Cybersicherheit im Zusammengang mit vernetzten Autos. Chef des Unternehmens ist der frühere Shin Bet-Chef Yuval Diskin.

Von Ziv Koren – from the creator, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=40435840Shabak (frequently referred to as Shin Bet) (from 2005 to 2011). (Ziv Koren/Polaris)

Mitgründer Tamir Bechor schließt nicht aus, dass Cymotive auf mittlere Sicht 400 Experten beschäftigten wird. Diese Zahl von Fachkräften könne nötig werden, um zu gewährleisten, dass die von Cymotive entwickelten Sicherheitsstandards überall im Unternehmen angewandt würden. Eine mittlerweile gelöschte Stellenanzeige der Firma sprach gezielt Absolventen der legendären Einheit 8200 der israelischen Armee an, die zusammen mit amerikanischen Spezialisten den Computerwurm Stuxnet gebaut haben soll, der 2010 die iranische Atomanlage Natans zeitweilig lahmlegte. Bechor betont allerdings, dass Cymotive keinerlei Kooperationen mit den Militärs unterhält oder plant. „Uns geht es allein um das Know-How der Leute.“

„Wir versetzen uns in die Lage von Hackern“, beschreibt er seine Arbeit. „Das unterscheidet uns von einem Autohersteller, dessen Mitarbeiter sich auf die internen Verhaltensregeln und das Qualitätsmanagement konzentrieren. Wir blicken auf das ganze Ökosystem rund ums Auto und suchen nach der schwächsten Stelle im Netzwerk.“

Bechor betrachtet die Verbindung zwischen den Pkw und dem Backend der Autohersteller als möglichen Punkt für künftige Hackerattacken. Potenzielle Angreifer seien eher Kriminelle als Terroristen oder staatliche Stellen. Als eine vorbildliche Initiative gegen die Gefahren der Cyberkriminalität bezeichnete er die Deutsche Cyber-Sicherheitsorganisation DCSO, in der sich Großunternehmern zusammengeschlossen haben, um sich gegenseitig über Angriffe auf ihre Systeme zu informieren.

Daimler, Here in einem Boot mit Finanzdienstleistern und Axel Springer

Was haben Daimler, Axel Springer, die Allianz  und die Deutsche Bank miteinander zu tun? Bisher nicht übermäßig viel, doch jetzt planen die Unternehmen eine gemeinsame IT-Plattform, die Kunden eine Art digitalen Generalschlüssel für verschiedene Dienstleistungen an die Hand geben soll – eine sichere Online-ID, mit der Bürger beispielsweise beim Tanken oder Parken bezahlen oder andere Services abrufen können. Mit dabei sind außer den Genannten der Technologie-Thinktank Core und der Kartenanbieter Here, an dem wiederum BMW, Audi, Daimler und Intel Anteile halten. Zuletzt war es um Here eher ruhig geworden, während Bosch eine Kooperation mit dem chinesischen Internetkonzern Baidu und den chinesischen Kartenherstellern AutoNavi und NavInfo ankündigte, um eine interaktive Karte fürs Autonome Fahren zu erstellen.

Masse ist Macht, nach diesem Prinzip funktioniert die Online-Ökonomie, deren Gesetze für die Autohersteller immer wichtiger werden. Je mehr Nutzer und und Dienstleister über eine Plattform bespielt werden könne, desto besser ist dies für jeden einzelnen Teilnehmer. Beispiel Paypal: Unzählige Online-Angebote können einfach per Mausklick bezahlt werden, fast jeder fünfte Internet-Einkauf in Deutschland läuft über den US-Bezahldienst. Das deutsche Konkurrenz-Angebot der Banken „Paydirekt“ müht sich bisher mit wenig Erfolg ab, um zu Paypal aufzuschließen – das Angebot der Finanzwirtschaft ist einfach nicht kundenfreundlich genug. Auch die Online-Funktion des deutschen Personalausweises wird bisher kaum genutzt, zum Kummer der Regierung, die sie am liebsten verpflichtend einführen will.

Behörden hätten am gerne eine Lösung wie in Dänemark, sagt Automotive-Experte Gabriel Seiberth vom Beratungsunternehmen Accenture. „Dort wird die Digitale Signatur von 4,8 Millionen Nutzern eingesetzt, die damit beispielsweise Behördengänge online erledigen.“ Öffentliche Anbieter wären aus seiner Sicht denn auch für eine Teilnahme an dem neuen Projekt der Banken und der Autoindustrie prädestiniert.

Der Versuch der Finanzwirtschaft, einen zweiten Anlauf zusammen mit Anbietern von Mobilitätsdiensten zu versuchen, erscheint logisch. Gemeinsam wollen sie gegen die US-Riesen Facebook, Paypal, Apple und Google behaupten. 2017 soll eine GmbH gegründet werden, 2018 die digitale Plattform an den Start gehen. Das Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme soll bei Sicherheitsfragen mitreden.

Kunden dürfte bei der Nutzung der geplanten Online-ID vor allem die Frage interessant sein, wie angreifbar diese für Hacker ist, genauso der Datenschutz. Seiberth glaubt allerdings nicht, dass Nutzer abspringen, weil sie Angst um ihre Privatsphäre haben: „Das sehen wir ja bei Paypal, Facebook oder Google. Wenn die Dienste nur attraktiv genug sind, akzeptieren die Menschen die Nutzungsbedingungen.“ Umso besser für die Anbieter, die mit umfangreichen Daten über die Lebens- und Konsumgewohnheiten ihrer Kunden neue Dienstleistungen entwerfen und Werbung verkaufen können.

 

15 Dollar am Tag für Audi-Werker in Mexiko?

Der neue Audi-Standort San José Chiapa, der im vergangenen Jahr in der mexikanischen Provinz Puebla eröffnet wurde, ist von großer Symbolkraft für die bitterarme Region. Gutbezahlte Jobs sind dort rar, deswegen erhoffte sich die Politik wirtschaftliche Schubkraft durch das Werk. Audi produziert in San José Chiapa auf 400 Hektar den Q5, 150 000 Pkw sollen pro Jahr das Werk verlassen. Über 150 000 Mexikaner bewarben sich für eine Stelle bei dem Autobauer.

Doch jetzt macht sich Enttäuschung breit, berichtet die „Automotive News Europe“. Die Arbeiter würden am Tag nur rund 15 Dollar verdienen, zitiert sie einen Beschäftigten – das entspräche in etwa dem Landesdurchschnitt. Unweit des Werkes wird zurzeit eine neue Stadt hochgezogen – doch ein Leben in diesem ehrgeizige urbane Projekt, das die mexikanische Regierung großzügig fördere, könnten sich einfache Audi-Beschäftigte nicht leisten.

Das Unternehmen reagierte auf die Kritik reserviert. „Die in den Medien genannten Tagessätze können wir so nicht nachvollziehen“, hieß es. „Das Tagesentgelt bei Audi México ist sehr wettbewerbsfähig. Bereits ein halbes Jahr nach dem offiziellen Start der Produktion gehören wir im Vergleich mit anderen Automobilwerken zu den Top 10 des Landes, und das ohne Berücksichtigung von Zusatzleistungen.“ Konkrete Zahlen über die Bezahlung vor Ort wollte Audi allerdings nicht nennen. Frühere Berichte über die Löhne bei anderen Autoherstellern in Mexiko nannten Stundenlöhne um die zehn Dollar. Wegen seiner niedrigen Personalkosten, der geographischen Nähe zu den USA und Kanada und dem Freihandelsabkommen NAFTA erlebte Mexiko in den vergangenen Jahren einen steilen Aufschwung seiner Autoindustrie.

 

Bosch – Starter: Chinesischer Neuanfang

Den Bosch-Beschäftigten in Hildesheim ist das Schicksal von Blaupunkt in unguter Erinnerung. 2008 wurde das Unternehmen für Unterhaltungselektronik zum Teil an den Finanzinvestor Aurelius verkauft, es folgten weitere Eigentümerwechsel und Firmengründungen, 2015 die Insolvenz.

Mit der traditionsträchtigen Starter- und Generatorenfertigung von Bosch soll das nicht passieren – das hofft jedenfalls die Geschäftsführung der Sparte,  das verspricht auc das Management der Zhengzhou Coal Mining Machinery Group (ZMJ). Bosch verkauft den Bereich an die Chinesen, angeblich für 545 Millionen Euro. Auf einer Betriebsversammlung heute Vormittag, moderiert von Bosch-Bereichsleiter Ulrich Kirschner, präsentierte das  ZMJ-Management seine Pläne für die Entwicklung und die Fertigung. ZMJ kommt aus dem Kohlebergbau und fertigt hydraulische Stützen, eine Tochter stellt preisgünstige Generatoren für automobile Anwendungen her. Bisher ist das Unternehmen auf dem asiatischen Markt stark. Mit den technisch anspruchsvolleren Produkten von Bosch will es jetzt in Nordamerika aktiv werden und von der Wende zur Elektromobilität profitieren.

Von dem Verkauf sind in Deutschland in Schwieberdingen gut 500 Beschäftigte, vor allem Entwickler, und im Hildesheimer Werk 1000 Mitarbeiter betroffen. Weltweit zählt die Bosch-Sparte nach unterschiedlichen Quellen zwischen 7000 und 10 000 Beschäftigte. Seit zwei Jahren laufen die Verkaufsverhandlungen. Der Betriebsrat konnte eine Reihe von Sicherheiten für die Belegschaft festzurren. Unter anderem konnten alle Mitarbeiter dem Betriebsübergang widersprechen und haben ein lebenslanges Rückkehrrecht zu Bosch. In Schwieberdingen machten davon bisher über 100 Mitarbeiter Gebrauch. Schwieriger war es für die gewerblichen Beschäftigten in Hildesheim, wo vergleichbare Arbeitsplätze rar sind.

ZMJ sicherte zu, bis Ende 2020 auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten, bis Ende 2022 sind außerdem die Standorte vertraglich geschützt. „Auf den Folien, die wir heute gesehen haben, wurden  Investitionen zugesichert“, berichtet Björn Kallis von der IG Metall – verbindliche Zusagen über bestimmte Summen habe es allerdings nicht gegeben. Der Schwieberdinger Entwicklungsstandort soll schon zum 1. Juni nach Weilimdorf umziehen.

Für die Beschäftigten ist die chinesische Lösung vor allem im Hinblick auf das Werk in Hildesheim eine vergleichsweise gute Option. In der Vergangenheit stand immer wieder die Frage im Raum, wie sich die vergleichsweise Bosch-Sparte auf dem Weltmarkt behaupten solle. Deswegen überwiegt bei allen Befürchtungen jetzt die Erleichterung darüber, dass ein Bieter zum Zug kam, der ein industrielles Konzept für Starter und Generatoren vorlegt, und noch dazu eines, das mit der E-Mobilität auf eine Zukunftstechnik setzt.