Archiv für den Monat: Februar 2018

Anwalt Tilp: VW-Manager Gottweis und Tuch wiesen Winterkorn 2014 auf Probleme wegen „Defeat Device“ hin

Der VW-Vorstand erfuhr erst im September 2015 von den Vorwürfen der US-Umweltbehörde EPA wegen der Schummelsoftware in Dieselmotoren – so stellt es Volkswagen bisher dar. Stimmt nicht, behauptet der Anwalt Andreas Tilp, der VW-Aktionäre vertritt, die sich hinters Licht geführt sehen. Tilp erwirkte jetzt die Offenlegung interner VW-Dokumente, die nahelegen, dass die VW-Managerriege tatsächlich frühzeitig über die drohenden Ermittlungen informiert war. Dabei handelt es sich um ein Schreiben von Frank Tuch, dem früheren Leiter der Qualitätssicherung von VW, an Ex-VW-Boss Martin Winterkorn, und eine Notiz des VW-Troubleshooters Bernd Gottweis an Tuch vom 22.05.2014.

Tuch – so berichtet Tilp – wies Winterkorn ausdrücklich auf das Problem hin, die Stickoxidemissionen der VW-Autos seien beanstandet worden. In einer Notiz von Bernd Gottweis, die Tilp zitiert, fällt das Wort „Defeat Device“:

Eine fundierte Erklärung für die dramatisch erhöhten NOx Emissionen kann den Behörden nicht gegeben werden. Es ist zu vermuten, dass die Behörden die VW Systeme daraufhin untersuchen werden, ob Volkswagen eine Testerkennung in die Motorensteuergeräte-Software implementiert hat (sogenanntes defeat device) und bei einem erkannten „Rollentest“ eine andere Regenerations- bzw. Dosierungsstrategie fährt als im realen Fahrbetrieb.

Tilp vertritt in Braunschweig und Stuttgart über 1000 Anleger – jetzt verspricht er sich bessere Aussichten auf Erfolg.

Sabina Jeschke will künstliche Intelligenz bei der Bahn vorantreiben

Pünktlichere Züge, bessere Angebote für Bahnreisende: Sabina Jeschke, die neue Technikvorständin der Deutschen Bahn, erwartet in den kommenden 24 Monaten einen Durchbruch für digitale Themen bei dem Staatsunternehmen. Die 49-jährige Physikerin ist vor drei Monaten in ihr Büro im 24. Stock des Bahn-Towers am Berliner Potsdamer Platz eingezogen. Ein Zugunglück wie das von Bad Aibling bei dem zwölf Menschen starben und 89 teils schwer verletzt wurden, weil ein Fahrdienstleiter bei der Arbeit mit dem Smartphone spielte, wäre nicht passiert, wenn Gleise und Züge miteinander vernetzt gewesen wären, sagt die frühere Professorin an der renommierten Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen.

Die Spezialistin für Künstliche Intelligenz beschäftigte sich in Aachen zuletzt unter anderem mit Robotik und ihrem Einsatz in der Autoproduktion. Bei der Bahn muss sie erst einmal grundlegende Herausforderungen angehen. Hunderte Datenbanken existieren im Unternehmen unabhängig voneinander und stören sich im schlimmsten Fall gegenseitig – wie beim Sturmtief Friederike, als Fahrgäste auf ihrer Bahn-App gar keine oder sogar widersprüchliche und fehlerhafte Angaben darüber bekamen, ob und wann ihr Zug fahren würde. Die Integration der Datensätze würde ein Durcheinander der Informationen verhindern, ist aber knifflig. Jeschke spricht von “Data Lakes”, also “Datenseen”, die miteinander durch Stichkanäle verbunden werden müssten – ein Verfahren, dass etwa Google bei vergleichbaren Fragestellungen erfolgreich anwende.

Hohe Sicherheitsstandards trotz dichterer Taktzeiten

Bahn-Boss Richard Lutz hat die Latte für Sabina Jeschke hoch gelegt. Er will das europäische Zugsicherungssystem ETCS flächendeckend einführen und die 2800 deutschen Stellwerke digitalisieren.  160 000 Signale und Tausende Kilometer Kabel sollen dadurch überflüssig werden und bis zu 20 Prozent mehr Züge auf die Schiene gebracht werden. Sabina Jeschke ist überzeugt, dass das gelingen wird. Züge und Waggons, die mit Sensoren ausgestattet würden, könnten vorausschauend gewartet werden und müssten weniger Zeit in Instandhaltungswerken verbringen, sagt sie. Werde der schienengebundene Fuhrpark miteinander vernetzt, seien deutlich geringere Abstände zwischen den Zügen und dichtere Taktfolgen möglich. Heute beträgt der Sicherheitsabstand zwischen ICEs aufgrund deren langer Bremswege mehrere Kilometer.

Spürbare Verbesserungen dürfen sich Kunden von neuen Tickets erwarten, die neben der Bahn auch Taxis, Mietfahrräder und -autos und den öffentlichen Nahverkehr einschließen. “Niemand wohnt direkt auf dem Hauptbahnhof und fährt in eine andere Stadt, um dort am Hauptbahnhof zu bleiben”, sagt Jeschke. Idealerweise soll der Fahrgast künftig mit nur einem Fahrschein von Haustür zu Haustür mit verschiedenen Verkehrsmitteln gelangen. Eine erste Innovation aus Jeschkes Ressort können Kunden heute schon in Suttgart erfahren: In den Bahnsteig eingelassene Leuchtstreifen signalisieren den Fahrgästen, wo genau der Zug hält und wo sich die Türen befinden. Die meisten Verspätungen im S-Bahn-Bereich entstehen, weil die meisten Fahrgäste an den wenigen Türen in der Nähe der Rolltreppen einsteigen wollen, sagt die Professorin. Perspektivisch sollen die Bahnsteige in verschiedenen Farben leuchten und anzeigen, in welchen Waggons noch Sitzplätze frei sind, um Staus und Gedränge zu vermeiden.

Bunte Sitzwürfel im Vorstandsbüro, die IT-Chefin ist per Präsenzroboter dabei

Um Digital-Themen bei der Bahn voranzutreiben, will sich Jeschke in Berlin einen kleinen Thinktank von fünf bis zehn Spezialisten schaffen. Zum Team sollen Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Doktoranden der RWTH gehören. Etwa die Hälfte der Posten will Jeschke mit internen Spezialisten der Bahn besetzen, den Rest von außen dazu holen.

Von Hierarchien hält die Professorin nicht übertrieben viel: In ihrem Büro mit spektakulärem Blick über Berlin müssen Besucher wie Kindergartenkinder auf kleinen vielfarbigen Sitzwürfeln Platz nehmen. Mit dabei bei vielen Besprechungen ist ein Präsenzroboter, den IT-Chefin Christa Koenen von Frankfurt aus bedient. “Im Grunde handelt es sich nur einen Monitor auf einem Besenstiel mit Rollen”, sagt Sabina Jeschke. Trotzdem wirkt das Gerät des Herstellers Double persönlicher als eine simple Videoschalte. Der rollende Bildschirm mit Koenes Gesicht kann sich durch den Raum bewegen und bei Bedarf den Menschen über die Schulter blicken oder sie zu einem Meinungsaustausch vis-à-vis auffordern.

Komplett digital ist Jeschkes Arbeitsalltag übrigens nicht: Notizen hält sie per Kugelschreiber in einer dicken Kladde fest. Das Mitschreiben per Hand sei für sie unverzichtbar, sagt sie: “So bin ich gezwungen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, das mir mein Gegenüber gerade mitteilt.”