Archiv für den Monat: März 2018

Eine chinesische Zellenfabrik für Deutschland?

Vom Weltall aus gesehen, heißt es beim chinesischen Batteriezellenhersteller CATL (Contemporary Amperex Technology Co. Limited), seien in China zwei Bauwerke gut zu erkennen: die chinesische Mauer – und die größte CATL-Anlage, das Werk in Ningde an der chinesischen Ostküste. Mit einer Länge von rund 1,5 Kilometern und einem halbem Kilometer Breite ist es schwer zu übersehen, weitere Bauten kommen gerade dazu.

CATL will schon 2018 Kapazität von 50 Gwh schaffen

Noch ist von der Mobilitätswende im europäischen Straßenbild wenig zu sehen, doch schon entsteht eine gigantische Zulieferindustrie für Elektroautos – und CATL sieht sich an der Spitze dieser Branche. Ursprünglich war geplant, in Ningde 2019 eine Produktionskapazität von 50 Gigawattstunden pro Jahr zu erreichen – höchstwahrscheinlich, sagt CATL-Europachef Matthias Zentgraf, wird das Ziel schon 2018 erreicht. Damit  hätte sich der Hersteller, von der chinesischen Regierung protegiert, als Weltmarktführer unter den Zellenherstellern etabliert. Weitere Produktionsanlagen stehen Qinghai und Jiangsu. Am zügige Aufbau von Fabriken geht nichts vorbei. Allein Volkswagen rechnet für 2025 mit einem Bedarf von 150 Gigawattstunden im Jahr. Weltweit dürften es 350 Gwh sein.

In Europa stehen Polen, Ungarn und Deutschland zur Auswahl

Ein Börsengang in der zweiten Jahreshälfte soll CATL zwei Milliarden Dollar bringen, um die Investitionen in neue Fabriken zu stemmen. Dazu kommt voraussichtlich ab 2019 eine Fabrik in Europa. Die kann in Polen stehen, in Ungarn – oder in Deutschland. Die Entscheidung für einen Standort in Europa stünde unmittelbar zuvor, sagt CATL-Deutschlandchef Zentgraf. Ausschlaggebend für die Standortwahl sind unter anderem die lokale Zulieferindustrie, Lohnkosten, die Anforderungen wichtiger Autohersteller an die technische Infrastruktur und der Strommix. Der Energiebedarf bei der Zellenherstellung ist beträchtlich. In Osteuropa wird Strom zum großen Teil aus Kohle, Öl und Gas gewonnen, in Deutschland beträgt der Anteil regenerativer Energien dagegen heute bereits ein knappes Drittel und soll bis 2030 auf 50 Prozent steigen.

Zieht das Öko-Argument?

Geringe Emissionen nicht nur im Betrieb, sondern auch bei der Herstellung werden für künftige Elektroautos ein wichtiges Verkaufsargument darstellen, glaubt CATL-Manager Zentgraf. Das spräche für eine Fabrik in Deutschland – vorausgesetzt, die chinesische Unternehmensführung macht sich die Öko-Argumentation zu eigen. Denkbar ist beispielsweise, die leerstehenden Anlagen des US-Herstellers First Solar in Frankfurt / Oder wiederzubeleben. Realistischer wäre aber wohl ein Standort in Westdeutschland, in Rufweite wichtiger Kunden wie BMW.

Autonomes Fahren: Hohe Erwartungen, schwierige Zulassung und Menschen in den Bäumen

Zeigt Waymo jetzt endlich, was es wirklich kann? Lange war es ruhig um die Google-Schwesterfirma, die das Autofahren revolutionieren will. Bis auf die Fotos der markanten  Waymo-Autos mit ihrer Kamera auf dem Dach wurde wenig bekannt über die Fortschritte des Unternehmens bei der Entwicklung von Roboterautos. Das könnte sich demnächst ändern: In Arizona holte sich Waymo die Genehmigung für den Betrieb von Taxis ohne Fahrer. Noch in diesem Jahr soll der Dienst starten. Ein Fanal für die deutsche Autoindustrie, die sich von den amerikanischen IT-Riesen nicht abhängen lassen will.

Weltweit arbeitet sich die Pkw-Branche zurzeit an der Entwicklung selbstfahrender Fahrzeuge ab. Kalifornien erlaubt ab April, dass Roboterautos ohne einen Menschen, der im Notfall eingreift, auf öffentlichen Straßen fahren dürfen. Um die 50 Firmen dürfen in dem Bundesstaat bereits ihre selbstfahrenden Autos testen. Daimler will zusammen mit Bosch Waymo mit eigenen Roboter-Taxis abhängen. BMW will den Fahrer ab 2021 überflüssig mache, VW mit seiner neuen Marke Moia ebenfalls.

Bosch rechnet mit 1000 Verkehrstoten weniger in Deutschland

Die Entwicklung von Roboterautos verschlingt Milliarden und soll die Branche umkrempeln wie keine andere Innovation. Algorithmen werden uns hunderte Stunden  Lebenszeit zurückgeben, die wir mit dem Fahren im Stau oder auf eintönigen Strecken vergeuden – so das Versprechen der Ingenieure. Sie werden der Autoindustrie neue Erlösquellen erschließen: Autos für gebrechliche Menschen, Kinder, Carsharing-Konzepte. Algorithmen sollen es uns erlauben, Hunderte Stunden Lebenszeit sinnvoll zu nutzen, anstatt sie im Stau oder auf eintönigen Strecken zu vergeuden. Und die Software soll Leben retten: „Jahr für Jahr sterben allein in Deutschland um die 3000 Menschen bei Verkehrsunfällen“, sagt Bosch-Geschäftsführer Dirk Hoheisel. „Diese Zahl ist für uns unerträglich.“ Computersysteme trinken keinen Alkohol, werden nicht aggressiv und sind nie müde. Die Automatisierung kann die Unfallzahlen um bis zu ein Drittel senken, heißt es bei Bosch.

Aber noch ist es nicht so weit. Um zu verstehen, was autonome Autos leisten müssen, hilft der Vergleich mit dem menschlichen Gehirn: Pro Sekunde nimmt es, während wir durch die Straße schlendern, 2500 Gigabyte an Daten auf. 100 Milliarden Neuronen mit jeweils bis zu 200 000 Synapsen verarbeiten die Informationen – und verwerfen den größten Teil davon sofort wieder, denn nur so können wir uns unterm Gehen unterhalten und schnell reagieren, sollten wir hinter uns ein Auto hupen hören oder im Menschengetümmel einen Bekannten entdecken. In keiner Situation beweist unser Nervensystem seine Fähigkeiten besser als bei Streifzügen durch eine komplexe Szenerie, in der Gefahren lauern und alles mit allem interagiert. Ausgerechnet dieses System müssen die Softwareexperten der Autoindustrie jetzt kopieren, ach was: Sie wollen es toppen.

Eines der Rechenzentren, die sich am Autonomen Fahren abarbeiten, steht in Unterschleißheim nördlich von München. BMW baut zusammen mit Intel eine gigantische Datenbank auf, die 2019 rund 500 Petabyte umfassen soll.  Mehrmals pro Woche schließt BMW Autos seiner Versuchsflotte an, die zwischen München und Genua pendeln und testen, wie gut die Recheneinheit, die im Kofferraum verbaut ist, dem Auto hilft, die Spur zu halten, an roten Ampeln stehenzubleiben und vom Gas zu gehen, wenn sich ein Raser auf der Autobahn regelwidrig über die Spuren schlängelt. Die Fahrzeuge sind dicht bepackt mit Steuergeräten, die gekühlt werden müssen, damit sie nicht heiß laufen.

Bosch baut währenddessen westlich von Stuttgart an einem schwäbischen Pendant zum kalifornischen Silicon Valley. Großindustrie, Start-Ups und universitäre Einrichtungen sollen dort gemeinsam die Formeln definieren, die den Verkehr künftig  steuert. In Indien, den USA und Deutschland investiert der Zulieferer 300 Millionen Euro in die Erforschung der Künstlichen Intelligenz. Mit herkömmlichen Codes ist es ja nicht getan. Die Software muss sich selbst laufend zu optimieren, wie ein Kleinkind, das nach und nach lernt, sich in der Wohnung fortzubewegung, auf rutschigem Boden im Schwimmbad, auf einer Rolltreppe.

Immer wieder geht die Software in die Knie

Von wirklich schlauen Pkw ist die Industrie allerdings noch ein gutes Stück entfernt. Künstliche Intelligenz? In Indien lassen Autozulieferer Beschäftigte die Bilder tausender Verkehrssituationen klassifizieren: Hier wird ein Fahrradfahrer hinter einem parkenden Auto sichtbar, hier steht eine Mülltonne am Straßenrand, hier drängelt sich ein Pkw in einen Kreisverkehr.  Eine Arbeit wie aus den Anfangszeiten des Internets, als sich die Google-Algoritmen für die Suche nach bestimmten Begriffen im Netz noch nicht durchgesetzt hatten, Mitarbeiter von Yahoo mühsam einzelne Internetseiten verschlagworteten und in einen virtuellen Zettelkasten einpflegten. “Wir automatisieren diese Arbeit nach und nach”, sagt Gunnar Jürgens, der beim Autozulieferer Continental das Autonome Fahren mit entwickelt. Aber noch muss das sogenannte “Labeling” bei Conti in Bangalore in etwa zur Hälfte von Hand erledigt werden.

Mithilfe der digital verschlagworteten Bilder bringen die Experten ihrer Software bei, Straßen, Natur,  Häuser und Verkehrsteilnehmer zu erkennen. Und sie prüfen, ob die Codes ihrer Zulieferer zuverlässig arbeiten. “Wir erleben ständig Überraschungen”, sagt BMW-Manager Elmar Frickenstein. Wenn’s dumm läuft, machen sich Artefakte selbständig. Die Software des israelischen Kameraspezialisten Mobileye sei bei Versuchsfahrten in Norwegen in die Knie gegangen, berichtet ein VW-Mitarbeiter. Schnee habe sie offenbar überfordert, plötzlich hätten die Systeme in den Bäumen Menschen vermutet.

Nicht auszumalen, wie aufgeregt die deutsche Öffentlichkeit reagieren würde, wenn solche Pannen im Alltagsverkehr auftauchen würden. Deswegen wird bei uns lieber einmal zu viel geprüft als einmal zu wenig.

UN-Experten tagen schon seit Jahren

Der neue A8 von Audi könnte auf der Autobahn schon bis zu 60 STundenkilometer schnell autonom fahren – tut es aber nicht. Noch wartet Audi nämlich auf das Okay der Behörden. Und die lassen sich Zeit: Seit drei Jahren verhandelt eine 45-köpfige Arbeitsgruppe, die “Working Party 29” der UN-Wirtschaftskommission für Europa, über die Neufassung der UN-Regulation Nummer 79 für Lenkanlagen.  Mal trifft sich das Gremium in Paris, mal in London, dann wieder in Deutschland. Der Chef der Arbeitsgruppe kommt aus dem deutschen Bundesverkehrsministerium, sein Vize wird von der japanischen Regierung entsandt. Mit dabei ist auch Audi-Experte Bogdan Bereczki. “„Wir rechnen damit, dass es noch ein bis eineinhalb Jahre oder noch länger dauern kann, bis die Vorschrift fürs automatisierte Fahren neu formuliert ist“”, sagt er.

Anderswo dürfen die Hersteller ihre Technik viel unbefangener vermarkten, obwohl die Risiken groß sind. Erst Ende Januar fuhr im kalifornischen Culver City ein Tesla Model S mit über 100 Stundenkilometern auf einen Leiterwagen der Feuerwehr auf. Der Fahrer gab an, der Tesla-Autopilot sei eingeschaltet gewesen, was der Hersteller mit der lakonischen Feststellung kommentierte, “Autopilot is intended for use only with a fully attentive driver” – frei übersetzt: Wer sich beim Fahren auf das autonome System von Tesla verlasse, sei selbst schuld. Immerhin kam bei dem Unfall niemand ums Leben, anders als beim Crash eines Tesla Model S mit einem Sattelschlepper im Mai 2016. Damals hielt der Autopilot den querenden Lkw offensichtlich für eine Brücke, möglicherweise – wegen seines hellen Aufliegers – auch einfach für ein Stück Himmel.

Deutsche Experten reagieren wegen solcher Pannen skeptisch, wenn Hersteller versprechen, ihre Modelle würden bereits so gut wie vollautonom fahren, also nahezu Level 5 erreichen. “Soweit wir wissen, gibt es heute keine serientauglichen Fahrzeuge, die Level 3 beherrschen”, sagt Bosch-Geschäftsführer Dirk Hoheisel. “Gerade zieht Realismus in der Branche ein. Einige Firmen mussten ihre Ankündigungen neuer autonomer Fahrfunktionen ja bereits zurücknehmen.” Diese Blöße will sich Bosch nicht geben. Um jegliche böse Überraschungen auszuschließen, setzt der Zulieferer auf redundante Systeme: “Wir werden wahrscheinlich mit vier Sensortypen fahren“, sagt Hoheisel: „Mit Radar, KameraVideo, Ultraschall und Laserscanner.” Nur so sei sichergestellt, dass das Auto keinen Unsinn mache, sobald ein einzelner Sensor fehlerhaft arbeite.

Stadtpläne mit Tabu-Zonen für Robo-Autos

Roger Müller von der Firma Logiball in Herne setzt an einem anderen Punkt an. Sein Expertenteam kartographiert europäische Städte und sucht nach neuralgischen Punkten: Wo und wann passieren die meisten Unfälle? Die Ergebnisse sollen in künftige Navigations- und Assistenzsysteme einfließen. “Robotaxis werden einen Umweg wählen, wenn auf ihrer Route beispielsweise mittags eine Grundschule liegt, vor der es keine Haltebuchten und Fußgängerüberwege gibt.”

Womit sich eine neue Bescheidenheit im Verkehr etablieren könnte: Die Einsicht, manchmal einfach überfordert zu sein – nicht nur als Mensch, sondern auch als Rechner.

BMW-Chef Krüger: Strafzahlungen wegen zu hoher CO2-Emissionen sind keine Option

Anders als Konkurrent Daimler will BMW auf jeden Fall die von der EU gesetzten Emissionsziele von 95 Gramm Kohlendioxid / Kilometer (100 Gramm für schwere Autos) im Jahr 2021 erreichen. Strafzahlungen seien für ihn undenkbar, sagte BMW-Chef Harald Krüger auf dem Genfer Autosalon. „Wir werden liefern“, bekräftigte er. Alles andere würde das Image des Herstellers empfindlich treffen, außerdem seien die Strafzahlungen für den Fall, dass ein Hersteller die Latte reißt, hoch. „Das Geld ist besser in technischen Innovationen investiert.“

Im vergangenen Jahr konnte BMW den Flottenverbrauch um zwei Gramm pro Kilometer auf 122 Gramm senken, unter anderem wegen des steigenden Anteils von Pkw mit Elektro- oder Hybridanteil. „Ende 2019 werden wir eine halbe Million dieser Fahrzeuge auf der Straße haben“, so Krüger. Der BMW-Chef setzt neben E-Motoren weiter auf die vergleichsweise sparsamen, aber umstrittenen Dieselantriebe.