Archiv für den Monat: März 2019

„Trickser können wir nicht gebrauchen“

Es gibt diesen Moment auf einer Bergtour, da hat es keinen Zweck, sich zu fragen, ob die ganze Sache gut ausgehen wird. Es nieselt, die Wettervorhersage warnt vor Gewittern. Der Proviant ist knapp. Aber der Startpunkt ist schon zu weit entfernt, als dass eine Umkehr noch Sinn ergeben würde.

VW ist an diesem Punkt. Nicht aus freien Stücken – die europäische Politik  hat den Hersteller auf die Wanderung geschickt. Die Vorgaben an die Schadstoffbelastung durch neue Pkw werden ab 2021 so streng, dass Volkswagen millionenfach Elektroautos bauen muss. Kann schon sein, dass die Kunden auch in 20 Jahren in Mehrheit einen Benziner oder Diesel kaufen wollen. Aber das zählt nicht. Auch die Erinnerung an Zeiten, in denen Ingenieure das lästige Abgasproblem durch Innovationen abschwächten und Tricksereien wegmogelten, ist für VW so hilfreich wie die Sehnsucht des Wanderers  nach seiner Couch zu Hause.  VW muss weg vom Verbrenner, koste es, was es wolle – im wahrsten Sinn des Wortes.

Rund 33 000 reine Stromer hat VW im vergangenen Jahr verkauft, 22 Millionen sollen es bis 2030 sein. Davon entfallen zehn Millionen auf die Kernmarke VW.  Dafür, dass VW den Gewaltmarsch schafft, bevor es an den Kosten zugrunde geht, ist Thomas Ulbrich zuständig, im VW-Vorstand zuständig für Elektromobilität

Wenn er seinen Job gut macht, wird in 30 Jahren niemand mehr von Dieselgate sprechen. Sondern davon, wie VW ein Vorreiter bei der Elektromobilität wurde. Wenn er es verbockt, kommt die Marke VW  mit ihren knapp 200 000 Mitarbeitern in 14 Ländern dem Abgrund gefährlich nah. Wie es aussieht, wenn VW mal eben gegen eine Wand fährt, konnte Ulbrich bereits in den USA besichtigen: Auf einem der gigantischen Autofriedhöfe, auf denen 350 000 VW mit Schummeldiesel vor sich hinrosten, ohne Aussicht, je einen Käufer zu finden.

Wann beginnt Ihr Tag und wann endet er?

Ich fange früh an, zwischen fünf und sechs Uhr. Die Abende werden häufig länger, bis 21 oder 22 Uhr.

Was ist Ihr Führungsstil?

Klar, verbindlich, kooperativ. Alle Mitarbeiter, die mich in den 30 Jahren, die ich jetzt bei VW bin, kennengelernt haben, werden hoffentlich bestätigen, dass man mit mir offen über alles reden kann. Aber man muss auch irgendwann zu Entscheidungen kommen. Ein Wort gilt für mich. Gesagt ist gesagt – und wird umgesetzt.

Trickser haben Sie nicht so gern im Team?

Unser Geschäft ist heute mehr denn jedarauf ausgelegt, dass wir Trickser nicht gebrauchen können. Autobau ist Mannschaftssport. Unsere Prozesskette ist kompliziert, da braucht es jeden Einzelnen.

Seine Karriere bei VW begann Ulbrich im September 1983 als KFZ-Mechanikerlehrling. Schnell arbeitete er sich nach oben, leitete unter anderem die Produktion an fünf VW-Standorten in China. Für seinen jetzigen Job hat Ulbrich bis 2026 ein Budget von rund 13 bis 14 Milliarden Euro. Insgesamt investiert der VW-Konzern bis 2030 30 Milliarden in die Elektromobilität.   

Leitwerk wird Zwickau, wo zurzeit 7.700 Mitarbeiter umgeschult werden und beispielsweise lernen müssen, in der Produktion mit Hochvoltspannung umzugehen. Schon Ende des Jahres wird in Zwickau der I.D. Neo vom Band laufen. 330 000 E-Fahrzeuge pro Jahr sollen in Zwickau einmal gefertigt werden. In China plant VW die Produktion von Stromern in Foshan und baut ein Werk in Anting.

Wann das Unternehmen die Kosten wieder drin hat, steht noch in den Sternen. Damit die Kunden den I.D., der ab März 2020 auf den Markt kommt, auch wirklich kaufen, muss VW die Autos zumindest am Anfang der Laufzeit unter ihren Herstellungskosten verkaufen. Eine Katastrophe für das Unernehmen wäre es, würden die Käufer ausbleiben, weil der Preis der Autos zu hoch, die Ladeinfrastruktur  in den Augen der potenziellen Besitzer zu dünn gebaut ist.

Wann muss der I.D. Neo profitabel sein?

Profitable E-Fahrzeuge herzustellen ist nicht leicht. Hohe Stückzahlen sind der Schlüssel zum Erfolg. Wir bringen unsere Kompetenz als Plattform-Profi und unsere Erfahrung für Großserien mit.

Wie viele Jahre kann es sich VW leisten, zuzuschießen?

Unser neues E-Modell I.D. wird sich innerhalb des ersten Produktlebenszyklus von etwa sechs Jahren rechnen. An diesem Grundsatz ändert sich auch in der Elektrowelt nichts. Gleichzeitig sind die Renditeerwartungen in der Startphase der neuen Technologie naturgemäß etwas geringer.

Ihr Modularer Elektrobaukasten MEB ist ein gutes Werkzeug, um Volumenvorteile auszuspielen. Je mehr Gleichteile, desto günstiger wird die Produktion. Warum wollen Sie die Technik an Ford verkaufen?

Unser Baukasten bietet vielfältige Verwendungsmöglichkeiten für die Autos anderer Hersteller. Wenn es uns gelingt, andere Unternehmen mit ins Boot zu holen, haben wir über die höheren Stückzahlen einen deutlichen Skaleneffekt., werden also effizienter.

Mit der Öffnung seines Modularen Elektrifizerungsbaukastens „MEB“ für die Konkurrenz betritt VW Neuland. Bisher gibt es nur vereinzelt Kooperationen von Pkw-Bauern.. Zu groß ist die Angst, die eigene Identität zu verraten. Sollte der Plan von VW tatsächlich aufgehen – sich also Hersteller wie Ford oder Fiat tatsächlich mit VW-Technik eindecken – wären die Voraussetzungen gut, dass in naher Zukunft auch im Einsteigersegment Elektromodelle auf den Markt kommen. Nach heutigem Stand ist die Verkehrswende eine Bedrohung für Geringverdiener, da Elektroautos oder Verbrenner mit wirklich günstigen CO2-Werten vergleichsweise teuer sind. Würden sich in der Industrie auf breiter Front einheitliche Standards durchsetzen, könnten die Kosten für alle gesenkt werden.

Noch ist das aber Zukunftsmusik. Die Gespräche zwischen Ford und VW ziehen sich. Unzählige Details sind zu berücksichtigen. Zudem meldete Ford zuletzt einen Verlust. Womöglich ist die Bereitschaft der Amerikaner, hohe Beträge für den MEB zu zahlen begrenzt.

Währenddessen wendet Thomas Ulbrich rund ein Fünftel seiner Arbeitszeit dafür auf, bei Entscheidungsträgern auf nationaler und EU-Ebene für die Elektromobilität zu werben. Das wirkt ein wenig so, als hätten die Politik und die Industrie die Rollen vertauscht: Auf der einen Seite Volksvertreter, die sich nicht so recht vorstellen können, dass die Elektromobilität, die sie von der Autoindustrie einfordern, allen Ernstes Realität wird. Auf der anderen Seite ein Manager, der gebetsmühlenartig wiederholt: „Die Kugel ist aus dem Lauf!“

Was erwarten Sie von der Politik?  

Ich bin froh, dass sich die Regierung im Koalitionsvertrag dazu bekennt, massiv Ladepunkte für Elektroautos aufzubauen. Aber es gibt trotzdem noch sehr viel zu tun. Erste Schätzungen des VDA sagen, dass wir die Zahl der Lademöglichkeiten gegenüber 2018 etwa um den Faktor 40 erhöhen müssen. Das schaffen die Autohersteller nicht allein. Wir brauchen außerdem Änderungen in einigen Bereichen der aktuellen Gesetzgebung in Deutschland, etwa eine Vereinfachung des Wohnungseigentumsgesetzes und Mietrechts zu Gunsten des Aufbaus privater Ladeinfrastruktur. Da sind andere EU-Staaten schon bedeutend weiter.