Archiv für den Monat: März 2020

Angst vor dem Corona-Kahlschlag

100.000 Jobs in Deutschland akut in Gefahr. Und die Pandemie dürfte die Gewichte in der Autoindustrie zugunsten Chinas verschieben

Wie schwer trifft Corona die Autoindustrie? Aktuell haben alle europäischen Autobauer ihre Produktion zurückgefahren. Unklar ist, wie groß die Blessuren sein werden, die die  Hersteller von der Fertigungs- und Absatzkrise davontragen. Ferdinand Dudenhöffer, Autoexperte der Universität St. Gallen, erwartet für Westeuropa für 2020 einen Absatzeinbruch von elf Prozent und geht von mindestens 100.000 Arbeitsplätzen aus, die der Branche in Deutschland verloren gehen werden.

Wie lange reichen die Cash-Reserven?

Die globalen Folgen lassen sich bisher schwer einschätzen, da die Pandemie gerade erst in den Vereinigten Staaten angekommen ist.  General Motors saß zum Ende des Jahres 2019 auf Cash-Reserven in Höhe von 23 Milliarden Dollar, Ford auf 22,3 Milliarden. Viel Geld, jedoch kosten stillgelegte Fabriken ebenfalls Unsummen, solange sich der Hersteller seinen Werkern nicht kündigt. Vorsichtshalber hat Ford jetzt seine Quartalsdividende ausgesetzt und Kredite über 15,4 Milliarden Dollar abgerufen. 

Der Staat springt ein

Massenentlassungen im Jahr der US-Präsidentschaftswahl scheinen unwahrscheinlich – eher schon eine Verstaatlichung notleidender Unternehmen. Ähnlich sieht es in Europa aus. Direkte und indirekte HIlfen wie das Kurzarbeitergeld werden Zulieferer oder Hersteller zunächst stützen. Dadurch könnten die schlimmsten wirtschaftlichen Folgen der Krise  abgefedert werden, es bleibt aber eine nachhaltige Schwächung der Branche, die sich ohnehin schon schwertut, die Umstellung auf neue Antriebe und Dienstleistungen zu schultern. Marktliberale halten die staatlichen Interventionen ohnehin für einen Fehlweg. “Unternehmen mit staatlicher Beteiligung können keine Stellen abbauen”, argumentiert Dudenhöffer. “An strukturellen Änderungen kommen wir aber nicht vorbei, da die Nachfrage über längere Zeit am Boden bleiben wird.” 

Herausfordernd ist auch die Situation der chinesischen Hersteller, obwohl dort die Kapazitäten schon wieder hochgefahren werden.  Die Unternehmensberatung Bain rechnet für das Jahr 2020 im besten Fall mit einem Minus von fünf Prozent bei den Verkäufen in China, im schlechtesten Fall – falls Covid erneut aufflammen würde – mit einem Minus von 23 Prozent. Das EBIT von Premiumherstellern mit einer starken China-Präsenz könnte, so die Experten, im laufenden Jahr um bis zu 40 Prozent gegenüber den 2018er Zahlen schrumpfen.

Schnellere Erholung in China

Der immer noch vergleichsweise niedrige Fahrzeugbestand dürfte China aber Ende 2020 und 2021 helfen, schneller als Europa und die USA Tritt zu fassen. Moody’s geht für 2021 für China von einem Plus von über zwei Prozent bei den Verkäufen aus. Für die USA erwarten die Analysten ein leichtes Minus, für Europa ein Plus von einem Prozent.

Ihre Aufholjagd könnten chinesische Hersteller mit Unterstützung des Staates wie bisher nutzen, um ihre Präsenz in Europa auszubauen. Wie man einen europäischen Hersteller rettet, hat Geely bei Volvo ja schon vorexerziert.

IAA: Eine Entscheidung fürs Altbewährte

Die Würfel sind gefallen. München darf sich freuen, Berlin und Hamburg müssen die Kosten für ihre Bewerbung für die Automesse IAA abschreiben. 700 Millionen Kaufkraftzufluss hätte die Schau der Hauptstadt angeblich bringen können, deswegen ist der Frust im Senat verständlich. Aber nicht nur der regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Gründe) sind enttäuscht. Auch unter Autoexperten wird Kritik an der Entscheidung des VDA laut.

Stefan Reindl, der Chef des Instituts für Automobilwirtschaft IFA in Geislingen, hielt Berlin für die einzig plausible Alternative zu Frankfurter, aus einem einfachen Grund: „Perspektivisch wird pro Kontinent nur eine Automesse überleben“, prognostiziert der Experte. „Deswegen muss ein deutscher Standort globale Anziehungskraft mitbringen.“ München repräsentiere mit BMW und Audi in Ingolstadt automobile Tradition – aber „Berlin ist als Hauptstadt Deutschlands und kraft seiner Größe für ein internationales Publikum relevanter als München oder Hamburg“, so Reindl.

Auch der renommierte Auto-Anlayst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler äußert sich enttäuscht über die VDA-Entscheidung. „Ich hätte Hamburg mit seinen innovativen Verkehrssystemen oder Berlin mit seiner hippen jungen Digitalkultur eher mit der Zukunft in Verbindung gebracht als München“, so Pieper. „Aber Hamburg hat sich der Branche wohl wegen der Krawallen zum G7-Treffen nicht als Standort empfohlen, ähnlich wie das wenig wirtschaftsfreundliche Berlin.“

Berlin muss nach der IAA-Absage jetzt auf das nächste große Auto-Projekt hoffen. Noch steht die endgültige Entscheidung für das geplante Tesla-Entwicklungszentrum aus. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop muss den Spagat zwischen effektiver Standortpolitik und der Rücksicht auf ihre ihrer autoskeptische Parteibasis schaffen – und die begehrten Jobs für die Hauptstadt sichern.