Alles Giga in Salzgitter

Volkswagen macht Ernst mit der Fertigung von Batteriezellen

Soll Volkswagen seine Akkuzellen selbst herstellen? Bloß nicht, das wäre ein „Witz“, sagte der frühere Vorstandschef Matthias Müller 2016. Schon damals drängte der Betriebsrat, VW solle die Akkutechnologie nicht anderen belassen, allerdings ohne Erfolg. Müller orderte Batteriezellen aus Korea und China, verließ sich auf deren Qualität und scheute die horrenden Kosten für eigene Werke. Sechs Jahre später hat sich die Haltung des Managements zum Thema Batteriezelle gründlich geändert. Am Standort Salzgitter legte VW heute den Grundstein für eine Zellfabrik, die „SalzGiga“. Die Namensähnlichkeit mit Teslas „Gigafactories“ dürfte beabsichtigt sein.

Zur Feier des Tages reiste sogar Bundeskanzler Scholz an, lobte die „Radikale Wende um 180 Grad“, die Volkswagen hingelegt habe. Die Auswirkungen von Corona und dem Ukraine-Krieg auf die Lieferketten  hätten gezeigt, dass die Abhängigkeit von einzelnen Zuliefer-Regionen fatal werden könne.   VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo sprach von einem „historischen Tag“. „Die Welt schaut auf uns“, freut sich auch der örtliche Betriebsratsvorsitzende Dirk Windmüller.

2030 sollen es sechs Fabriken sein

Lange war der Standort Salzgitter ein Sorgenkind. Der VW-Bereich „Komponente“ mit seinen Sitzen, Getrieben und der Antriebstechnik galt als Kostentreiber. 63 Millionen Verbrennungsmotoren liefen bis heute in Salzgitter vom Band. Eine beeindruckende oder eine furchteinflößende Zahl, je nachdem, aus welcher zeitlichen Perspektive man auf sie blickt. Im Zuge der Umstellung auf Elektromobilität werden in Salzgitter viele Arbeitsplätze überflüssig. Mit dem Schwenk zur Zellfertigung bekommt der Standort eine neue Perspektive. Hier hat auch die im Februar gegründete „PowerCo“ ihren Sitz, in der Volkswagen alle Batterieaktivitäten des Konzerns bündelt.

Ein Teil der Beschäftigten des Motorenwerks soll jetzt für den Einsatz in der künftigen Zellfabrik qualifiziert werden. Dort werden, wenn die Fertigung läuft, über 2500 Menschen arbeiten. Inklusive Forschung, Entwicklung und Verwaltung wird PowerCo in Salzgitter 5000, europaweit bis 2030 sogar auf bis zu 20.000 Mitarbeiter beschftigten. „Ab 2025 werden wir jedes Jahr eine Fabrik ans Netz nehmen“, verspricht VW-Technikvorstand Thomas Schmall. Mit dann sechs Werken in Europa will VW 2030 auf eine Jahreskapazität von 240 Gigawattstunden kommen.

Radikal einfach, radikal kostengünstig?

Die Batterie-Aktivitäten binden wegen der teuren Vorprodukte und Anlagen viel Kapital. Allein der Bau und Betrieb der Anlage in Salzgitter kostet bis zum Hochlauf der Serienproduktion zwei Milliarden Euro. Die gesamten Investitionen in die Batterieaktivitäten beziffert Volkswagen auf mindestens 20 Milliarden Euro bis 2030.

Umso mehr versucht VW, die Ausgaben unter Kontrolle zu halten. Anders als Tesla, das während Corona-bedingter Produktionsschwierigkeiten in China  mit seinen unterschiedlichen Zellformaten unter Druck geriet, setzt Volkswagen auf prismatische Einheitszellen. Je nachdem, was sie leisten sollen, wird die Zellchemie angepasst.  „Wir können von kostengünstig bis zu High Performance alles abbilden“, sagt PowerCo-Chef Frank Blome.

Die radikale Vereinheitlichung soll in großem Stil Kosten sparen. Auch das Design der Fabriken wird standardisiert. „Kann schon sein, dass Tesla bei den Batterien schneller und innovativer war“, sagt ein Volkswagen-Manager. „Wir sind auf der langen Strecke besser.“ Volkswagen beherrsche es wie kein anderer, hohe Stückzahlen in verlässlicher Qualität zu liefern.

Experten befürchten Engpässe bei Rohstoffen

Die Unternehmensberatung Roland Berger erwartet einen steilen Anstieg der Nachfrage nach Akkus bis 2030. Da die Zellfertigung viel Kapital bindet, bietet sich über kurz oder lang ein Börsengang von PowerCo an. Geplant ist ohnehin, auf Dauer nicht nur VW zu beliefern. Ein denkbarer Kunde wäre Ford, dem VW bereits Hard- und Software aus seinem Baukasten für Elektroautos verkauft, theoretisch aber auch Hersteller wie  BMW, die sich bisher nicht für eine eigene Zellfertigung entscheiden wollten.

Bleibt die Frage nach den Rohstoffen. Die Experten von Roland Berger sehen vor allem bei Kobalt, Nickel und Lithium Engpässe. Nickel etwa komme zu rund zehn Prozent aus Russland, was seit Kriegsbeginn zu massiven Preissprüngen geführt habe. Viele Vorprodukte werden aus Asien importiert. Zuständig für den Einkauf der Rohstoffe für PowerCo ist der Ex-BMW-Manager Jörg Teichmann. Er will Lieferketten nach Europa verlagern. Davon, ob ihm das gelingt, dürfte ein großer Teil des PowerCo-Erfolgs abhängen.


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