Verschärft Corona die Gegensätze zwischen Arm und Reich?

Das Urteil von Thomas Piketty ist harsch: “Die Pandemie offenbart uns auf trostlose Art die gewaltsamen Auswirkungen der Ungleichheit”, so der französische Starökonom. “Menschen ohne regelmäßiges Einkommen müssen raus aus ihren Wohnungen und arbeiten, Obdachlose werden ausgeschlossen, kleine Firmen gehen pleite, während große Unternehmen ihre Marktanteile bekommen.” 

Die „Top Dogs“ unter den Firmen liegen in der Krise vorn

Piketty verdankt seine Popularität einer teils emotionalen Wortwahl und den beeindruckenden Mengen an Daten und Fakten, die er verarbeitet. Das heißt nicht, dass alles stimmt, was er schreibt. Treibt Corona die ökonomischen Verlierer tatsächlich endgültig ins Abseits?

In Krisen teilt sich häufig die Spreu vom Weizen, so eine immer wieder geäußerte These: Wer wirtschaftlich schlecht da steht, geht unter, erfolgreiche Individuen und Firmen überleben oder werden sogar stärker. So nahm der “Economist” Ende März über 800 Unternehmen aus den USA und Europa unter die Lupe und bewertete, wie viel Kreditausfallversicherungen für die jeweiilgen Firmen kosteten, ihre operative Rendite, die Bargeldreserve und den Verschuldungsgrad. Das Ergebnis:  Die “Top Dogs” schlugen sich in den Viruswochen zuvor sich in den meisten Fällen besser als ihre weniger potenten Wettbewerber.

DIW-Experte Grabka befürchtet keine steigende Ungleichheit

Aber gilt Gleiches oder  zumindest Ähnliches auch für die Einkommen der Bürger? Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gibt sich anders als Thomas Piketty  entspannt. “Weder die Finanzmarktkrise 2008/2009, noch die hohe Zahl neu zugewanderter Personen ab 2010 haben zu einer messbaren Verschärfung der Einkommens-Gegensätze in Deutschland geführt.” , so Grabka. Der Forscher setzt auf die Krisenabwehr der Politik. “Ich bin optimistisch, dass unsere Wirtschaft dank der Maßnahmen der Bundesregierung bald wieder Tritt fassen wird.”

Gutbezahlte Facharbeiter profitieren aktuell vom Kurzarbeitergeld, Solo-Selbständige müssen sich mit vergleichsweise bescheidenen Zuschüssen und Krediten über Wasser halten. Ist das unfair? “Im Schnitt verfügen Selbständige über deutlich höhere Nettovermögen als abhängig Beschäftigte”, gibt Grabka zu bedenken. Für den arbeits- und mittellosen Gitarrelehrer mag sich die Privatainsolvenz wegen Corona grausam anfühlen – als statistisch relevante Größe scheint sie im Zahlenuniversum des DIW-Experten (noch) nicht auf. Grabka setzt darauf, dass die Wirtschaft das dicke Minus wieder ausschwitzt.

“Bei den letzten Krisen wurden aus den Buchverlusten kein dauerhafter Verlust. So erreichte das aggregierte (GM1) Geldvermögen in Deutschland bereits im 1. Quartal 2009 wieder das damalige Vorkrisenniveau”, argumentiert er. “Nach zwei Quartalen war das Thema wieder vorüber.” 

Wann droht uns die Inflation?

Auch der DIW-Experte hat allerdings bisher keine rechte Vorstellung davon, wie sich die Geldschwemme, mit der die EZB die Folgen der Krise eindämmen will, auswirken wird. Theoretisch müsste das Überangebot an Liquidität die Preise treiben, doch die Praxis sieht anders aus: “Alle bisherigen Anleihe-Kaufprogramme der Zentralbanken konnten die Verbraucherpreise kaum in die Höhe treiben.”  

Auf den Immobilienmärkten trieb das billige Geld in den letzten Jahren jedoch bizarre Blüten – mit schmerzhaften Folgen für Mieter, die einen immer höheren Teil ihres Einkommens fürs Wohnen aufwenden müssen. Ein Risiko für den sozialen Zusammenhalt? “Es sieht so aus, als ob wir vorerst das Ende der Immobilien-Hausse erreicht haben”, konstatiert Markus Grabka. Daran werde auch die Corona-Geldflut nichts ändern. Bleibt im Interesse der weniger Begüterten zu hoffen, dass er Recht behält – und nicht Thomas Piketty mit seinen dystopischen Visionen.