VW-Untersuchungsausschuss: Beredtes Stochern im Nebel

Ein erneuter Anlauf zur Aufklärung des Dieselskandals im Bundestag. Dem VW-Untersuchungsausschuss geht es darum, zu klären, wie die Politik und wie öffentliche Behörden dem massenhaften Betrug Vorschub leisteten. Heute als erster Zeuge geladen: Der Softwareexperte Felix Domke, dem es gelang, die VW.Schummelsoftware zu dechiffrieren.

Domke könnte vieles erzählen – wenn ihn denn Auschuss-Obmann Ulrich Lange (CDU/CSU) ließe. Aber Lange bremst Domke ein, als dieser über Abgastests an Opel-Fahrzeugen im Auftrag des KBA berichten will.  Der Software-Entwickler solle sich doch bitte an den Untersuchungszeitraum halten. Alles, was nach dem 7. Juli 2016 passiert sei, habe außen vor zu bleiben.

Hinter Domke sitzen Vertreter des Bundesverkehrs- des Justiz- und des Wirtschaftsministeriums. Die Vertreter des Exekutive müssen ein großes Interesse daran haben, die Arbeit des Ausschusses mitzuverfolgen – geht es ja auch darum, wie eng die Autoindustrie mit den Behörden zusammenarbeitet, ob die Verwaltung eine Aufdeckung von Abgasschummeleien tatsächlich vorantreibt oder nicht.  Schon wenige Minuten nach Beginn der Sitzung werden die Presse und die Besucher ausgeschlossen.

Eine halbe Stunde später geht’s dann doch in aller Öffentlichkeit weiter. Felix Domke schildert, wie groß der Aufwand war, im vergangenen Jahr problematische Software beim Opel Zafira nachzuweisen. Er fordert, dass die Hersteller die entscheidenden Algoritmen ihrer Motorsteuerung offenlegen. Heute noch sei die Software relativ simpel gegen das Auslesen geschützt. Würden hier die Autohersteller nachrüsten, würden künftige unabhängige Untersuchungen der Abgassteuerung schwierig bis unmöglich.

Zur Sprache kommt auch die Informationspolitik von Opel: Der Hersteller habe im Zusammenhang mit dem Zafira Nebelkerzen geworfen, um ihn zu diskreditieren, berichtet Domke – ein häufiges Vorgehen der Autohersteller, die sich gegen Schummelvorwürfe wehren müssen und die Thematik als überaus komplex darstellen. So komplex, dass unabhängige Experten es angeblich nie schaffen würden, wirklich durchzusteigen.

Der frühere Tüv-Nord-Chef nimmt seine Prüfer in Schutz

Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses fragen mal hier, mal da. Sie verlieren sich in technischen Details, die eigentliche Fragestellung gerät dabei aus dem Blickfeld: Was wusste die Bundesregierung? Und wie hat sie durch Stillschweigen oder gar aktives Handeln geholfen, dass Autohersteller auf Kosten der Umwelt schummelten?

Nach ungefähr einer Stunde ist Domkes Befragung vorbei, der nächste Zeuge ist Guido Rettig, der frühere Chef des Tüv Nord. Rettig wird gefragt, ob die Prüfer die Autohersteller möglicherweise darauf hingewiesen haben, welche Spielräume sie bei der Abgassteuerung hatten, wenn sie es nur schlau genug anstellten. Er antwortet ausweichend: Gravierende Abweichungen seien natürlich nie toleriert worden. Zu einem anderen Thema – einem Treffen mit Michael Odenwald. Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium auf dem Höhepunkt der Dieselaffäre sagt Rettig nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus.

Später – die Medienleute dürfen wieder zuhören – berichtet er über die Schwierigkeiten, die die Arbeit des Tüv erschwert hätten: Kein direkter Zugriff auf die Software im Auto, kein Mandat zur „Felduntersuchung“, also der nachträglichen Prüfung zugelassener Autos, ob sie im Alltag ihre Grenzwerte einhielten. „Software ist kein Thema bei der Typprüfung.“ So weit, so bekannt. „Wir arbeiten nach Regelwerken“, sagt Rettig, will heißen: Es war und ist nicht vorgesehen, dass der Tüv Autos über das hinaus, was in der Hauptuntersuchung passiert, tatsächlich effektiv testet. Rettigs lapidare Antwort auf die Frage des Ausschussvorsitzenden Herbert Behrens, ob der Tüv aufgrund der Aufträge, die er aus der Industrie annimmt, von den Herstellern abhängig sei: „Abhängig ist man als Unternehmen immer.“

Wichtige Fragen werden nicht gestellt

Am Nachmittag tritt Klaus Pietsch auf, der im Kraftfahrt-Bundesamt für die Typgenehmigungen zuständig ist. Die Fragen und Antworten ziehen sich zäh hin. Nein, das KBA habe nicht überprüft, ob Hersteller Abschalteinrichtungen in die Motorsteuerungssoftware eingebaut hätten, sagt Pietsch. Nein, dazu habe es im gesetzlich geregelten Genehmigungsverfahren keine Anweisungen gegeben. Und nein, auf die Idee, eigene Rollenprüfstände aufzubauen, sei niemand im KBA gekommen. „Wir hatten keinen Grund, Unterlagen über das gesetzlich Vorgesehene hinaus von den Herstellern anzufordern.“

Zuweilen wünscht man sich, die Abgeordneten hätten vor der Sitzung ein bisschen im Internet gestöbert, um sich Infos vorab zu beschaffen, und sie hätten die Ausschussunterlagen genauer studiert, in denen mancher Mailwechsel zwischen KBA, der EU-Kommission und dem Bundesverkehrsministerium wiedergegeben wird, der durchaus Fragen aufwirft. Etwa die, warum sich das KBA gegenüber der EU-Kommission so zugeknöpft gab, als diese 2016 um Aufschluss über Abgastests in Deutschland bat. Anstelle dessen fragt beispielsweise Arno Klare (SPD), was ein Vorserienfahrzeug ist und ob deutsche Hersteller tatsächlich überall in der EU Typgenehmigungen beantragen können. Nüchtern führt Pietsch Details zu Verfahrensfragen aus, kommentiert, wie seine Behörde vor und nach Bekanntwerden des Dieselskandals mit der Autoindustrie umgegangen ist. Sind Pkw sauber oder nicht? Alles eine Frage von Anordnungen, Nebenbestimmungen, Konformitäten. Überall tun sich Lücken in Gesetzen auf, sehr schnell fühlt sich Klaus Pietsch „außerhalb seines Zuständigkeitsbereiches“ – wahrscheinlich sogar zurecht. Nur schade, dass die wirklich Verantwortlichen hier nicht als Zeugen auftreten.

Nach Pietsch kommt dessen Chef Eckhard Zinke dran, der durch eine interne Mail bekannt geworden ist, die er mit „industriefreundlichem Gruß“ abschloss. Alles nicht so gemeint, beteuert er jetzt: Sein Team und er selbst arbeiteten streng objektiv, hochmotiviert, überaus kompetent und unvoreingenommen. Zinke ist offensichtlich nicht glücklich über die Kritik, die seine Behörde im Zuge des Abgasskandals einstecken musste. Vielleicht liegt’s ja auch an der nahezu komplett fehlenden Öffentlichkeitsarbeit des KBA, dass ihn die Medien nicht so wirklich lieben?

Alles ist so kompliziert, nichts Genaues weiß man nicht

Hätte sich beim KBA angesichts der Abgaswerte auf den Rollenprüfständen und im realen Fahrbetrieb nicht der Verdacht aufdrängen müssen, dass hier etwas nicht stimmt? Diese Frage kommt von Ulrich Lange (CSU). Zinke schwurbelt herum, und nein, es habe keinerlei Hinweis auf den Versuch einer Täuschung gegeben. Lange insistiert: Das Umweltbundesamt habe doch immer wieder festgestellt, dass die offiziellen Schadstoffwerte wenig mit der Realität zu tun gehabt hätten? Trotzdem kein Grund nachzufassen, wenigstens für Zinke.

Später bittet er um Verständnis dafür, dass er wegen des aktuellen Vertragsverletzungsverfahrens der EU und „angesichts der Tatbestandsweite und -Tiefe“ nicht auspacken will. Die EU moniert, Deutschland habe zu wenig gegen Schummeleien der Autohersteller getan – das richtet sich indirekt auch gegen Zinke, dass er zu diesem Punkt lieber schweigt, wie auch zu vielen anderen Punkten: „Ich habe keine Fakten zu vermelden.“ Das hören die Abgeordneten vom Chef der größten Typgenehmigungsbehörde Europas mehrfach, dazu Sätze wie „Die technischen Vorschriften  werden dort angewandt, wo der Sachverhalt sich abspielt.“ Aha. Viel reden, nichts sagen, kein übermäßiges Selbstbewusstsein erkennen lassen – unfreiwillig gab Zinke dann doch Auskunft darüber, wie es sein konnte, dass sich praktisch unter den Augen der deutschen Aufseher Autohersteller um wichtige Umweltvorschriften herumschummeln.

 


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