Aller Anfang wird schwer

Eine Rückkehr zur Normalität wird es in der Autoproduktion nach dem Corona-Knockout so schnell nicht geben. Die Angst vor Neuinfektionen in den Werken und Lücken in der Lieferkette werden den Neustart bremsen

Autoproduktion in Deutschland ist vor allem ein Job für Roboter. Für manche Handgriffe ist der Mensch aber unersetzlich – beispielsweise an vielen Bändern bei der Montage des Autohimmels. Die Innenverkleidung des Dachs wird zum Teil von Hand befestigt, zwei oder sogar Werker müssen sich dafür gleichzeitig in die Karosserie zwängen. Der unmittelbare physische Kontakt zueinander ist in der Fertigung unvermeidbar, aber in Zeiten der Corona-Pandemie undenkbar.

Ganz Deutschland wartet auf die Lockerung der Corona-Beschränkungen und darauf, dass die Industrie ihre Fabriken wieder hochfahren kann. Nur wie genau ein Neustart in drei, vier oder noch mehr Wochen funktionieren kann, weiß im Moment niemand. Ein Zurück zur Normalität kann es  nicht geben, selbst wenn die Zahl der Erkankten zurückgeht. Das Virus wird uns voraussichtich noch mehrere Monate begleiten, die Sorge vor Infektionen allgegenwärtig sein.

Ein einziger Corona-Fall schickt eine gesamte Schicht nach Hause

Arbeitgeber sind gesetzlich gehalten, die Praxis im Betrieb so zu gestalten, dass die Gesundheit der Beschäftigten nicht gefährdet wird. Das heißt in letzter Konsequenz: Wer seine Mitarbeitern zu früh einen zu engen Umgang miteinander zumutet, trägt die Verantwortung für erneute Corona-Infektionen. Zudem muss sich der Hersteller selbst bei glimpflich verlaufenden Krankheiten auf teure Ausfälle in der Produktion gefasst machen. Ein einziger Corona-Fall bedeutet, dass die gesamte Schicht für zwei Wochen nach Hause geschickt wird. 

Die Unsicherheit bei den Produktionsplanern ist groß. Sollen nach dem 20. April, falls die Beschränkungen für den Kontakt im öffentlichen Raum gelockert werden und ein Produktionsstart denkbar erscheint, in den Fabriken mobile Handwaschbecken aufgestellt werden? Werden die Werker zum Tragen von Gesichtsmasken und Handschuhen verpflichtet? Sollen die Bänder Leertakte fahren, damit damit niemand niemandem zu nahe kommt? Wird es Übergabeinseln in den Hallen geben, an denen Beschäftigte Teile deponieren und abholen können, ohne sich dem Risiko eines unmittelbaren Kontakts zueinander auszusetzen? Die Experten sind überfordert, auch wenn sie zum Teil auf Erfahrungen aus China zurückgreifen können, wo die Fertigung in den meisten Autowerken schon wieder läuft. “Wir setzen auf klare Ansagen aus der Politik”, heißt es unter anderem im Umfeld von Volkswagen.

Mehrere tausend Zulieferer allein in Italien

Dazu kommt die Abhängigkeit der Hersteller von ihren Lieferanten. Tausende Zulieferer sitzen in den europäischen Hotspots der Pandemie, in Norditalien und Spanien. Solange sie nicht zur Normalität zurückkehren, können es die Autofabriken in Niederbayern, Wolfsburg oder Leipzig nicht. Daimler zählt 60.000 Zulieferer, davon allein 2000 sogenannte Tier 1- Systemlieferanten für Mercedes-Benz. Diese überwachen wiederum  ihre eigenen Lieferketten. Bei Bosch beispielsweise müssen täglich etwa 280 Fertigungswerke mit über 300 Millionen Teilen versorgt werden.  Volkswagen spricht von „mehreren tausend” Zulieferern allein in Italien. Firmen wie Brembo: Der Herstellers mit Hauptsitz in der Nähe von Bergamo beliefert in normalen Zeiten die gesamte Welt mit Bremsen für Autos und Pkw. Wer jetzt bei Brembo anruft, muss Glück haben, um einen Ansprechpartner ans Telefon zu bekommen, denn alle vier Werke in der Region wurden geschlossen und weite Teile der Verwaltung heruntergefahren. 

Krisenteams der Herstellern behalten zurzeit den Teilemarkt im Blick. Bei VW umfasst diese Task Force in normalen Zeiten 80 Menschen, aktuell wurde sie auf 100 Experten aufgestockt. Die Absicherung der Lieferkette im weltweiten Maßstab sei deutlich schwieriger als nur in China, heißt es bei VW – ein Vorgeschmack auf die Probleme bei einem Marktstart Ende April oder Mai.

Berylls: Schutz vor Pleiten durch besseren Datenaustausch

Die Unternehmensberatung Berylls warnt vor einer Pleitewelle bei Zulieferern, ähnlich wie nach der Auto-Absatzkrise 2008/2009. Zahlreiche Firmen wie Stankiewicz, Edscha oder TMD Friction mussten damals den Gang zum Insolvenzrichter antreten. Mit schuld daran, heißt es bei Berylls,  war der standardisierte Datenaustausch zwischen den verschiedenen Firmen der Auto-Lieferkette. Weil niemand moderierend bei großen Storni und fehlerhaften Marktprognosen eingriff, habe sich die Negativstimmung ähnlich wie bei einem Kurssturz an der Börse aufschaukeln können. Aktuell arbeiten die Berylls-Experten an einem System, das Überreaktionen wie vor elf Jahren verhindern soll.

Klar ist heute: Die Industrie wird sich nicht so schnell einfangen wie nach 2009. Damals half die Abwrackprämie den Autobauern wieder auf die Beine. Die ist 2020 nicht in Sicht – und würde auch nicht helfen, so lange in den Fabriken keine Autos vom Band laufen.