Dieselgate: VW contra VW-Fachkraft

Hinterher ist man ja immer schlauer. Hätte sich VW etwas besseres einfallen lassen, um mit den US-Grenzwerten für Stickoxidemissionen klarzukommen, wäre der Autobranch viel Schaden erspart geblieben. Für Volkswagen selbst summieren sich die direkten Kosten des Skandals bisher auf 29 Milliarden Euro. Kosten, die zu vermeiden gewesen wären, wenn die Verantwortlichen und die vielen Mitwisser dem Betrug rechtzeitig einen Riegel vorgeschoben hätten. Wenn sie nicht jede Weisung widerspruchslos ausgeführt hätten. 

Hätte, wäre. Wieviel Rückrat darf man innerhalb eines hierarchischen Systems von den Beschäftigten erwarten? Das Arbeitsgericht Braunschweig muss in derzeit fünf Verfahren entscheiden, ob Volkswagen Angestellten, die in den Dieselskandal mittel- oder unmittelbar beteiligt waren, kündigen darf – und ob der Konzern ein Recht darauf hat, sich wenigstens einen Teil seiner Kosten von ihnen zurückzuholen.

Stefanie J., um die es heute in Braunschweig geht, dürfte kaum 29 Milliarden Euro aufbringen, auch wenn sie bis zu ihrem Rausschmiss bei VW gut verdiente, angeblich gut 15.000 Euro im Monat. Ex-VW-Chef Martin Winterkorn bekommt heute noch über 3000 Euro am Tag – ihm wurde nicht gekündigt. 

Jetzt muss das Arbeitsgericht Braunschweig entscheiden, wer mehr Verantwortung trug: Der Ex-Boss, der für seine Akribie und Detailverliebtheit bekannt war, der auf eine minutiöse Erfüllung seiner Direktiven pochte – oder eine Abteilungsleiterin, die im wesentlichen für die Ausführung der Direktiven sorgen musste, die von oben kamen? 

Eine entscheidende Rolle für die Beantwortung dieser Frage spielt ein Treffen von Fach-und Führungskräften am 15. November 2006, bei dem der Einsatz der Schummelsoftware in den Vereinigten Staaten beschlossen wurde. Wer bei diesem Treffen dabei war, kann nach heutigem Stand schwer behaupten, von dem Betrug nichts geahnt zu haben.

Bei der Entscheidung über das Defeat Device angeblich nicht dabei

Nur: Angeblich war Stefanie J. bei diesem entscheidenden Meeting nicht mit dabei. Auch danach war sie angeblich nicht direkt an der Software beteiligt, nahm sie allerdings zur Kenntnis, ohne dagegen vorzugehen.

Kann sie als eine der Urheberinnen der millionenfachen illegalen Trickserei bezeichnet werden? Offensichtlich hielt man ihre Rolle bei VW lange Zeit für wenig relevant. Auch nachdem der Dieselskandal öffentlich geworden war, arbeitete sie bei VW weiter. Angeblich wurde sie 2017 sogar noch befördert. Erst 2018 kam die Kündigung – möglicherweise unter dem Druck von US-Monitor Larry Thompson, dem die Aufklärung bei VW nicht schnell genug ging. Vielleicht aber auch deswegen, weil VW die Aufmerksamkeit der Justiz und der Öffentlichkeit von den höheren Führungskräften weg auf die unteren Hierarchieebenen lenken wollte.

Wer muss am Ende für den systematischen Betrug am Kunden, der Umwelt, den Beschäftigten und Anlegern von VW haften? Wie wichtig ist der Justiz und dem Unternehmen eine wahrheitsgetreue Offenlegung der Entscheidungsstrukturen des Konzerns?

Wie es aussieht, hat Stefanie J. bisher keinen neuen Job. Vor Gericht wirkte sie zuletzt angegriffen. Heute verkündet das Braunschweiger Arbeitsgericht seine Entscheidung.